Dieser „Hoffmann“ will zu viel

(c) Barbara Pálffy / Volksoper
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Die Volksoper „Hoffmanns Erzählungen“, bringt Offenbachs so schwer zu inszenierendes Opernschmerzenskind in einer fantasievoll überfrachteten Regie von Doucet/Barbe heraus.

Ein paar Takte nur, da wird „Hoffmanns Erzählungen“ auch schon wütend unterbrochen – vom Teufel persönlich. Und er geht nicht etwa mit dem Herrn eine himmlische Wette um Fausts – oder Hoffmanns – Seele ein, sondern er ärgert sich. Schon wieder das vermaledeite Stück dieses Jacques Offenbach, der ihn in „Orpheus in der Unterwelt“ ins Lächerliche gezogen habe! Seither sinnt der Gottseibeiuns auf Rache. Der frühe Tod des Komponisten, die Brandkatastrophen des Wiener Ringtheaters während einer „Hoffmann“-Aufführung 1881 und der Pariser Opéra-comique 1887 mit der Vernichtung der originalen Orchesterstimmen, die Zerstreuung des Notenmaterials: des Teufels Werk! Aber unermüdliche Forscher arbeiten gegen ihn, rekonstruieren die Oper, weshalb er nun sicherheitshalber ein weiteres Konvolut von Partiturseiten abfackelt. Die Oper darf dann trotzdem beginnen – und in einem abgebrannten Theater spielen.

„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, ist der Direktor im „Vorspiel auf dem Theater“ von Goethes „Faust“ überzeugt. Auch für Volksopernprinzipal Robert Meyer scheint der Ratschlag noch Gültigkeit zu haben. An gar nichts wird nämlich in der Deutung von „Les contes d'Hoffmann“ durch das Inszenierungsduo Renaud Doucet (Regie, Choreografie) und André Barbe (Ausstattung) gespart. Nach der Premiere in der koproduzierenden Oper Bonn im Juni 2015 hielt dieser „Hoffmann“ nun im Haus am Gürtel Einzug und wurde vom Publikum offenbar ob seiner Bilderflut mehrheitlich freudig bejubelt. Man folgt weitgehend der Kaye/Keck-Edition (mit Diamantenarie, ohne Septett), bricht aber die Volksopernmaxime insofern, als nicht durchwegs eine passable deutsche Übersetzung gesungen wird, sondern manche Nummern im französischen Original erklingen dürfen: Sogar sprachlich ist also gewissermaßen für jeden etwas dabei.

Unvollendet und erratisch überliefert

„Und jeder geht zufrieden aus dem Haus“? Nein, wieder einmal zeigt sich, wie unglaublich schwierig der „Hoffmann“ zu realisieren ist. Allein an der Fassungsfrage der unvollendeten, erratisch überlieferten „phantastischen Oper“ kann man verzweifeln, die sich auf die Interpretation auswirkt: romantisches Nachtstück, Künstlerdrama oder ein stärkerer „Comique“-Einschlag? Ausstattungsprunk oder Reduktion? Psychologisierende oder mehr surreale Deutung? Oder auch über das Stück hinausweisende Brechungen?

Wie es scheint, wollten Doucet und Barbe das alles, ja noch mehr und am besten zugleich. Das kann nicht durchwegs gleich gut funktionieren: Die Deutungsstränge wollen sich nicht zum konzisen Ganzen verbinden. Da ist zunächst die durchaus einfallsreiche, mehrfach überbordende Bebilderungslust. Zufall oder nicht, für Wiener Opernfreunde wirkt das, als hätte sich Barbe von der Staatsopernpremiere des Jahres 1993 inspirieren lassen und in vielen Einzelheiten eine variierte oder noch öfter verschärfte Version des damals von Richard Hudson Ersonnenen auf die Bühne gebracht: Manchmal nimmt das Klimbim kein Ende. Was Brechungen anlangt, bleibt schon der Teufelsprolog folgenlos in der Luft hängen: Josef Wagner singt sich geschmeidig, aber ohne Dämonie durch die Bösewichtpartien, die Frankenstein, Nosferatu und Mussolini gleichen. Und die optische Gleichsetzung der Dienerrollen mit dem vielfach mitdirigierenden, aber dennoch nicht stückbeherrschenden Offenbach (Christian Drescher) zeigt mehr lose Enden als stringent geknüpfte dramatische Knoten – vor allem im schwächsten, dem revuehaften Giulietta-Akt, in dem sich Kristiane Kaiser mit der unangenehm hoch liegenden Partie abmüht.

Anja-Nina Bahrmann als „Walking Dead“-Antonia fehlt die ruhige Stimmführung, sie bleibt blass wie ihr Halloween-Make-up in einem mit Eis und Schnee im Zimmer vom Regietheater kalt angehauchten Akt. Und würde die tadellos burschikose Juliette Mars ihre Phrasen in durchwegs noblem Klang formen können, wäre man über die Aufwertung von Muse/Niklaus mehr erfreut. Ein spezieller Fall ist Mirko Roschkowski, der den Hoffmann als sympathischen Tollpatsch gibt, aber auch so ähnlich singt: Für seinen hellen, technisch unfertig wirkenden Tenor ist die Rolle ein Wagnis. Beate Ritter zumindest hat als höhensichere, skurrile Olympia Lacher wie Jubler auf ihrer Seite. Unter dem temperamentvollen Gerrit Prießnitz ist das gut studierte Orchester mit Feuereifer bei der Sache, sängerisch bedingte Durchhänger können sie aber nicht verhindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2016)

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