Orgien der Lieblichkeit in Rost- und Goldtönen

(C) Staatsoper/ Michael Pöhn
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Glucks „Armide“, erstmals seit 1892 wieder an der Wiener Staatsoper: großer Jubel für Dirigent Marc Minkowski, Widerspruch erntet Ivan Alexandres ästhetische, nicht rasend inspirierte Regie.

Tarnen und Täuschen lautet die Devise im Krieg – und manchmal auch in Beziehungen, werden Spötter einwerfen. Beides ist Thema in „Armide“, Christoph Willibald Glucks 1777 in Paris uraufgeführtem „Drame héroïque“ über die exotisch-erotische Magierin, die während des Ersten Kreuzzugs auf Seite der Sarazenen gegen die christlichen Ritter kämpft: Liebe, zunächst vorgegaukelt und instrumentalisiert als Mittel des Hasses, wird schließlich der Angreiferin selbst zum Verhängnis, weil sie ihr erliegt.

Schon während der ebenso festlich wie scharfkantig streng in den Raum gestellten Ouvertüre erlebt das Publikum in der Wiener Staatsoper, was das im besonderen Fall bedeutet. Armide benützt nämlich zur Camouflage nicht etwa Flecktarnmuster, sondern Perücke und langes Kleid für den Nahkampf. Auf die vorgeblich hilfsbedürftige Frau fallen die fremden Soldaten reihenweise herein – und werden im Nu überwältigt. Nicht viel später philosophiert Armide dann in zarten Tönen über die Ehe, während sie die Gefangenen seelenruhig foltert oder ihnen gleich die Kehle durchschneidet. Und siehe da: In Ivan Alexandres Inszenierung entpuppt sich die Zauberin als junger Mann . . .

Grandiose Musiciens du Louvre

Tempora mutantur! Noch 1869 schien ein Zugstück wie „Armide“ ideal für die Eröffnungsvorstellung der Wiener Hofoper; erst spät schwenkte man auf Mozarts „Don Juan“ (recte „Don Giovanni“) um. „Armide“ wurde verschoben, um nach 1892 vorerst zu verschwinden. 2016 kehrt das Werk als absolute Rarität zurück – zu einer Zeit, da Gluckaufführungen trotz gewachsenem Interesse im Zuge historischer Aufführungspraxis immer noch nicht häufig und abseits von „Orfeo ed Euridice“ seine ehedem berühmten Werke keineswegs allgemein bekannt sind.

Marc Minkowski am Dirigentenpult tut freilich alles, damit sich auch die Ohren jener Opernfreunde, die entweder mehr auf barocke Gesangsvirtuosität oder auf die Gefühlseruptionen späterer Epochen eingeschworen sind, rasch auf Glucks spezifischen Tonfall einstellen können. Mit seinen für das Haus keineswegs zu schmal klingenden Musiciens du Louvre, die damit ihre zweite Premiere als Gäste im Staatsoperngraben absolvieren, breitet er in originaler, ungewöhnlich tiefer Stimmung eine enorme Klang- und Artikulationspalette aus: von furiosen Kriegsstürmen mit schmetterndem Blech bis zu weit ausschwingenden schwebenden Orgien der Lieblichkeit, von einem zarten, fast kargen Pianissimo in reduzierter Besetzung über anmutige, oft stehend absolvierte oder gar halb ins Bühnengeschehen mit einbezogene Bläsersoli (Flöte!) bis hin zu vollem Sound, belebt und intensiviert durch Glucks fantasievolle Spielmanieren der Streicher, die noch Berlioz zum Schwärmen brachten. Das fesselt die Aufmerksamkeit auch über dramaturgische Längen hinweg.

Auf der Bühne hat Minkowski in der wandlungsfähigen Armide von Gaëlle Arquez und, mit kleinem Abstand, auch im Renaud des Stanislas de Barbeyrac starke Partner, die Musik wie Text gerecht werden in jenen großen Szenen, die Gluck aus Arien, Orchesterrezitativen und Tanznummern zu einem praktisch durchkomponierten Ganzen fügt. In Arquez' expansionsfähigem, aber immer noch lyrisch dominiertem Gesang spiegeln sich Armides Nöte in satten Farben mit schlanker Kontur; Barbeyrac verbindet einen Zug zum Heldischen mit klanglich etwas blässeren, aber nobel formulierten Piano-Kantilenen. Das Ensemble gruppiert sich um dieses Paar: Während ein als Hidraot schlicht fehlbesetzter Paolo Rumetz um gesunden Klang und klare Linie ringen muss, betören vor allem die Damen – mit exquisit mädchenhaften, reinen Tönen die Sidonie der Hila Fahima, etwas fülliger, aber ebenso sauber die Phénice von Olga Bezsmertna, und Stephanie Houtzeel beeindruckt in der Rolle des personifizierten Hasses.

Ausstattungsprunk versagt Alexandre sich und dem Publikum. Drei Stockwerke eines rostigen Gefängniskäfigs beherrschen die sonst meist leere Bühne (Pierre-André Weitz). Für die Zauberszenen zeigen sie uns die goldene Rückwand: jaja, Liebe und Hass als die zwei Seiten der Medaille. Nach dem Adventkalenderprinzip tanzen da hinter Türen junge Herren der Staatsopern-Ballettakademie – zwischen Wehrsport und purer Erotik haben sie, sonor assistiert vom Gustav-Mahler-Chor, alles drauf (Choreographie: Jean Renshaw), dabei tragen sie das goldene Gewand der Armide. Das mag Armides Gendertausch illustrieren, als zentrale Idee aber bleibt dieser eigentlich folgenlos – denn ob schwul oder hetero, ob natürlich entstanden oder magisch erzwungen: Verboten war diese Liebe sowieso. Der verlassenen Armide bleibt nur lodernder Zorn – und das Publikum ist begeistert.

„Armide“. Noch am 19., 22., 25., 29. 10. Livestream via www.staatsoperlive.com: 25. 10.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2016)

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