Staatsoper: Wo der Belcanto herkommt

„Alcina“
„Alcina“(c) Staatsoper Wien
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Händels „Alcina“ in Adrian Nobles gediegener Inszenierung, neu besetzt: ein Fest der barocken vokalen Charakterisierungskünste.

Das Gastspiel der Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski ermöglicht der Staatsoper, das philharmonische Orchester erstmals zu einem Gastspiel mit Wagner-Beimischung nach Fernost mitzunehmen. Während der Tournee gibt es Barockes am Ring, in „Tannhäuser“-Länge, doch kurzweilig, denn das junge Sängerensemble der Wiederaufnahme von Adrian Nobles feinsinnig differenziert erzählender, von Anthony Ward geschmackvoll ausgestatteter Inszenierung, versteht sich bestens auf die geforderte gradlinige Stimmführung, die zum eloquenten Spiel des Ensembles passt.

Vibrato ist in den melodischen Phrasen ein Stilmittel, kein Dauerzustand. In den geschmeidigen Linien, die Händel seinen Interpreten schenkt, bildet sich jene vokale Ausdruckskunst heraus, die im italienischen Belcanto ein Jahrhundert später zur Hochblüte kommt. Die Pflänzchen treiben hier erst behutsam aus, fordern dezente, niemals markierende, gar forcierende Stimmartistik. Von veristischer Brachialgewalt ist dreieinhalb Stunden lang nichts zu bemerken. Das will erlauscht sein. Sind die Sensoren geschärft, steht das Publikum merklich unter Spannung – und reagiert zuletzt begeistert.

Die Geschichte von erotischen Fixierungen, Eifersucht und Zweifel findet in den Kehlen der Protagonisten statt, ob in virtuosen Koloraturen, die bei Chen Reiss Koketterie und Aufgewühltheit bedeuten können, bei Rachel Frenkels samten-lyrischen Ergüssen oder den melancholisch bis zum zartesten Hauch zurückgenommenen Klagelauten, in denen die großen Szenen der Titelheldin, Myrto Papatanasiu, ihre höchste Verdichtung erreichen: Was Minkowskis grandioses Ensemble an Stimmung zeichnet, vom Flüsterton bis zur furiosen Aufwallung, findet in den Stimmen kunstvollen Widerhall.

Margarita Gritskovas dunkel leuchtender Alt setzt dem Abend eindrucksvolle Lichter auf, der Tölzer Knabe Lionel Wunsch auf der Suche nach dem verzauberten Papa brilliert geradezu in drei komplexen Sopranarien.

Und die gute Nachricht für alle, die Barockoper meiden, weil sie den Klang von Countertenören nicht mögen: Benjamin Bruns steuert echt tenoralen Schmelz bei, Orhan Yildiz die zur Balance nötigen tiefen Töne, alle einschlägigen Partien aber werden von Damen gesungen . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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