Was wir an Falstaff lieben

London. "Ich thats mit Fleiße", singt Sir John Falstaff. Fürwahr. Ambrogio Maestri brilliert in der schweren Verdi-Partie an vielen bedeutenden Opernhäusern, hier in Covent Garden.
London. "Ich thats mit Fleiße", singt Sir John Falstaff. Fürwahr. Ambrogio Maestri brilliert in der schweren Verdi-Partie an vielen bedeutenden Opernhäusern, hier in Covent Garden.Catherine Ashmore
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Die Wiener Staatsoper zeigt eine Neuinszenierung von Verdis überreicher letzter Oper. Ambrogio Maestri singt die anspruchsvolle Titelpartie.

Nachträge zum Shakespeare-Jahr: Am Theater an der Wien, wo ab 11. 11. auch "Macbeth" zu erleben sein wird, läuft eben die Aufführungsserie der "Falstaff"-Oper von Antonio Salieri aus (21., 23. 10.). Und die Staatsoper bereitet eine Neuinszenierung von Verdis Vertonung desselben Sujets vor. Die Partitur dieser allerletzten Verdi-Oper hat stets die berühmtesten Dirigenten fasziniert. In Wien haben nach 1945 Maestri vom Format eines Herbert von Karajan oder Georg Solti das Werk einstudiert. Leonard Bernstein hat es sich gar für sein Staatsopern-Debüt auserkoren das ganz bewusst als Landnahme nach dem Abgang Karajans als Operndirektor inszeniert war; und mit Luchino Visconti auch einen bedeutenden Regisseur nach Wien brachte. Auch Lorin Maazel und Seiji Ozawa ließen es sich in ihren Wiener Amtszeiten nicht nehmen, den "Falstaff" zu dirigieren. Nun feiert Zubin Mehta, in Wien groß geworden, mit "Falstaff" sein Comeback. David McVicar inszeniert. Mit Ambrogio Maestri, 1970 in Pavia in der Lombardei geboren, steht der in unseren Tagen wohl meistbeschäftigte Interpret der Titelpartie auf der Bühne. Dass "Falstaff" ein Lieblingswerk der Dirigenten ist, liegt an Verdis Altersweisheit und Raffinement. Längst hatte sich der Maestro zurückgezogen.

Geniales Alterswerk. Mit "Aida", so dachte er, sollte sein Lebenswerk 1871 abgeschlossen sein. Wir verdanken es der Überredungskunst eines Mannes, der in jungen Jahren ein wütender Widersacher Verdis war, dass mehr als eineinhalb Jahrzehnte nach der ägyptischen Premiere noch eine Verdi-Uraufführung an der Mailänder Scala anberaumt werden konnte. 1887 hatte "Otello" Premiere. Arrigo Boito, selbst Komponist, hatte sich erbötig gemacht, Verdi ein adäquates Libretto zu dichten und goss Shakespeares Drama sprachlich wirklich in musikalische Formen. Und es sollte, wie einst in der Antike, auf die perfekte Tragödie doch noch das schmunzelnde Satyrspiel folgen: Boito durfte noch eine weitere Shakespeare-Figur zu einem Verdi-Helden oder besser: Antihelden formen: Er verdichtete die Szenen aus den "Lustigen Weibern von Windsor" und "Heinrich IV." auf geniale Weise zu einem knappen, dramaturgisch perfekt ablaufenden Musiktheaterbuch; und Verdi schrieb Musik dazu, die wie eine verschmitzte, hie und da ironisch augenzwinkernde Antwort auf alle Opernfragen seiner Zeit anmutet.

Alles, was ihn über Jahrzehnte beschäftigt hat, die Sorge um Wahrhaftigkeit auf der Bühne, die Bemühungen um Rhythmus und Tempo der szenischen Vorgänge, um Timing und rechte Balance zwischen Lyrik und Dramatik, Aktion und Kontemplation, das Verhältnis zwischen Rezitativ und Arie, Monologen und Ensembles, die Abstimmung zwischen den Anforderungen hoch entwickelter Gesangskunst und des immer beredter, immer wichtiger werdenden Orchesters auf all diese Fragen gibt der Komponist in seinem Alterswerk Antworten, direkt oder verdeckt. In seiner formalen Gestaltung ist "Falstaff" für Kenner ein Kompendium der musiktheatralischen Kompositionstechnik. Die Vielschichtigkeit, die dieser Anspruch mit sich bringt, reizt verständlicherweise die Dirigenten, die mit dem oft aberwitzigen Tempo, in dem hier Pointe auf Pointe folgt, mithalten müssen, die das sein müssen, was in italienischen Häusern seit Jahr und Tag "Maestro concertatore e direttore d orchestra" heißt, wo in deutschsprachigen Landen schlicht: "Dirigent" auf den Abendzetteln steht. "Falstaff", das ist Kammermusik für Sänger und Instrumentalisten, ein gigantisches tönendes Marionettenspiel, bei dem der Mann am Pult zum alleinigen Regisseur wird. In seiner Hand läuft alles zusammen; und nur ganz selten darf er die Führung was sonst gerade bei Verdi des Öfteren von Wichtigkeit ist an die einzelnen Sänger abgeben.

Wald und Elfenlied. Nur zwei Stücke finden sich in den Szenen des Werks, die der Opernfreund als Arie ansprechen würde, sie sind dem jungen Liebespaar zugedacht und folgen dicht aufeinander: die schwärmerische Szene des Fenton am Beginn der Waldszene und das bald darauf folgende Elfenlied der Nanetta müßig zu sagen, dass beide Stücke nach Wagner schem Vorbild keine Schlüsse haben, sondern unmittelbar in die nächstfolgenden Szenen münden; Zwischenapplaus gibt es bei "Falstaff" nicht mehr. Er war schon im "Otello" nur noch mit Brachialgewalt durchzusetzen, bei dem Sängerverehrer etwa nach dem "Credo" des Jago genau wissen mussten, wo der Applaus einzusetzen hat, damit der Dirigent das Spiel des Orchesters unterbrechen muss. (Ein Wissen, das längst verloren gegangen ist der letzte Bariton, der nach dem "Credo" in Wien dieserart andauernden Applaus bekam, war Giuseppe Taddei...) Im "Falstaff" freuen sich Connaisseurs über die vielen kleinen und kleinsten Miniaturen, die Verdi erdacht hat. Freilich hat gerade die Titelfigur ihre monologischen Betrachtungen, die philosophische Abhandlung über die Ehre im ersten Bild, den melancholischen Glühwein-Katzenjammer nach dem unfreiwilligen Bad im Fluss am Beginn des dritten Akts. Auch Herr Ford, der lyrische Bariton, breitet seine Vision vom gehörnten Ehemann in einer für dieses Werk ungewohnten Ausführlichkeit aus.

Höchste Satzkunst. So setzt Verdi kunstvoll Ruhepunkte in die ungemein bewegte Struktur seiner unwiderruflich letzten Oper, deren an Mozart geschulte Ensemblekunst im Finale des ersten Akts kulminiert: Da singen zunächst die Herren im Viervierteltakt, dann die Damen im Sechsachteltakt, dazwischen schwärmt (in der Instrumentalmusik sprächen wir vielleicht von einem Trio) Fenton von seiner Nanetta und zuletzt türmt Verdi sämtliche Singstimmen zum virtuosen Nonett, die Rhythmen überlagen einander und Fentons Tenor schwebt wie der Choral in einer Bach-Kantate über dem kontrapunktischen Gefüge. Das ist höchste Satzkunst, gewiss, doch mit einer Leichtigkeit behandelt, die wohl nur einem Meister zu Gebote steht, der schon alle, aber wirklich alle Anfechtungen des musikdramatischen Gewerbes bewältigt und hinter sich gelassen hat. "Alles ist Spaß auf Erden", heißt es zuletzt, und natürlich macht Verdi mit dieser Sentenz das Unmögliche möglich: Er löst alles in schwerelose Leichtigkeit auf in strengster Fugenform...

Tipp

Verdis "Falstaff". Zubin Mehta dirigiert, David McVicar inszeniert, es singen Ambrogio Maestri (Falstaff), Ludovic T zier (Ford), Carmen Giannattasio (Alice), Marie-Nicole Lemieux (Mrs. Quickly). Premiere: 4. 12. (7., 9., 12. 12.)
www.wiener-staatsoper.at

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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