Haydn, stürmisch und drängend

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Giovanni Antonini und das Kammerorchester Basel bezauberten im Wiener Musikverein.

Wer erinnert sich noch an die Frage, ob das Kleid auf dem berüchtigten Instagram-Foto nun schwarz und blau war – oder weiß und golden? Ein akustisches Äquivalent zu jener optischen Täuschung, die vor Monaten im Internet eine Kontroverse entfacht hat, hat Joseph Haydn schon 1784 im Finale seiner Symphonie Nr. 80 (d-Moll) geliefert. Das beginnt scheinbar banal mit drei geraden Viertelnoten auf derselben Tonhöhe, pausenlos gefolgt von zwei Staccato-Achteln – ein Modell, das sogleich auf verschiedenen Stufen wiederholt und damit in seiner rhythmischen Klarheit zementiert wird. Erst im darauffolgenden Tutti stellt sich durch eine scheinbar zusätzliche, holpernde Achtelnote heraus, dass alles Bisherige synkopisch um eine Achtel verschoben war: einer von Haydns brillanten Scherzen.

Denn ähnlich wie beim sogenannten Dressgate analysiert das Gehirn die Umgebung – auf Licht und Schatten, in der Musik auf metrische Schwerpunkte. Und trotz besseren Wissens ist es schwierig, diese Funktion beim reinen Hören zum Umschalten zu zwingen: Bei jeder Wiederkehr scheint das Motiv volltaktig zu beginnen, stets fällt man danach in Gedanken irgendwann über die eigenen rhythmischen Füße. Giovanni Antonini und das Kammerorchester Basel lockten das Publikum im Brahmssaal schwungvoll und mit diebischer Freude an List und Tücke in diese Fallen – und vergnüglicher ist man kaum je hinter das Licht geführt worden.

Koloristische Effekte

Dabei schlug dieser dritte Abend in Antoninis geplanter Gesamtaufführung der Haydn-Symphonien (diesmal: 19., 80. und 81.), die sich bis zum Jubeljahr 2032 hinziehen wird, eigentlich vornehmlich dramatisch-düstere Töne an. „Der Wirrwarr“ hat Friedrich Maximilian Klinger das Drama nennen wollen, das dann als „Sturm und Drang“ einer Literaturepoche ihren Namen gegeben hat. Das Schlagwort wird auch in der Musikgeschichte als Beschreibung für einen experimentell anmutenden, affektgeladenen Stil rund um 1770 diskutiert, der mit Moll-Tonarten und expressiven Elementen aus der Opernsprache einen betont gestischen Ton in das rein Orchestrale hinübergeführt hat.

Da können fast absurde Kontraste aufeinandertreffen – wie im Stirnsatz dieser 80. Haydns, wo das Toben der Elemente kaum zu bändigen scheint, aber dann in verblüffend unbekümmert wiegende Ländlertakte mündet: Da löst sich der Wirrwarr geradezu in das Behagliche auf – was auf höherer Ebene aufs Neue verstört. Antonini und die Basler zeichneten solche Zusammenstöße mit Kraft und großer Lust an penibel formulierten Pointen nach, vernachlässigten dabei aber bei allem äußeren Schwung auch das innere Schwingen der Phrasen nicht. Als Ergänzung fungierte die c-Moll-Symphonie des „schwedischen Mozart“, Joseph Martin Kraus, deren dramatisches Feuer loderte, während Haydns 81. besonders durch ihre koloristischen Effekte bezauberte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2016)

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