Wien Modern: Schubert auf Eis

PK ´WIEN MODERN 2016´: G�NTHER
PK ´WIEN MODERN 2016´: G�NTHER(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Das Festival stellt sich unter dem neuen Leiter, Bernhard Günther, gleich „Die letzten Fragen“. Die Eröffnung begeisterte.

Na dann: „Gute Nacht“. Vor dem Beethoven-Denkmal im Foyer des Konzerthauses steckt ein Flügel zur Hälfte in einem Minigletscher aus drei Tonnen Eis. Wie eingefroren muteten auch die in langen Loops repetierten Takte aus „Gute Nacht“, dem Eröffnungslied von Schuberts „Winterreise“ an, die Han-Gyeol Lie anschlug: Gedämpft und merkwürdig irreal klangen sie, verbreiteten tatsächlich auch eine Art von Kälte. Wohltemperiert tönt anders. Gesang war keiner zu hören, zumindest nicht am Eröffnungsabend von Wien Modern, an dem diese Installation von Georg Nussbaumer ihren Betrieb aufgenommen hat.

Noch etwa eine Woche ist das Klavier im Eis zu besichtigen, jeweils ab 18.45 Uhr wird darauf gespielt: Langsam soll es – und mit ihm Schuberts Musik – ausapern. Das klangliche Schicksal des Instruments ist Teil dieser Annäherung an die „Winterreise“, die vom „Jahr ohne Sommer“ 1816 inspiriert wurde. Ein Vulkanausbruch in Indonesien ließ damals durch seine Aschemassen in der Atmosphäre ungezählte Europäer und Amerikaner verhungern und erfrieren – und führte zu Farbphänomenen sowie jenen „Nebensonnen“ am Himmel, die Dichter Wilhelm Müller in der „Winterreise“ anspricht.

Nussbaumers Arbeit ist nur eine von zwei gleichsam vorab aus dem Wasser ragenden Spitzen des Eisbergs namens Wien Modern 2016; die andere war Georg Friedrich Haas' Kinderoper „Das kleine Ich-bin-ich“ (nach Mira Lobe), die am Wochenende im Dschungel Wien Leute ab vier Jahren in ihren Bann zog. Das Festivalmotto, das der neue Leiter, Bernhard Günther, gewählt hat, verbindet Kantschen Erkenntnisdrang mit ironischem Augenzwinkern: „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hier überhaupt?“ Ein paar Antworten und wohl noch mehr neue Fragen bieten bis 30. November mehr als 50 Ur- und Erstaufführungen in fast 70 Konzerten an 21 Orten, darunter Stephansdom und Zentralfriedhof. Müllers und Schuberts „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ fügt sich da ebenso ein wie die kindliche Selbstfindung, die übrigens auch für den Komponisten aktuelle Bedeutung annahm: Immerhin spricht Haas nach der im Februar gemachten Eröffnung, er führe mit seiner Frau eine beglückende SM-Beziehung, nun auch offen über die ihn belastende Nazi-Vergangenheit seiner Familie.

Haas: Nobles Posaunenkonzert

Die Befreiung von solchen Dämonen soll etwa bei Haas' „Hyena“ (12. 11.) im Zentrum stehen. Sein neues Posaunenkonzert, das nun beim eigentlichen Eröffnungskonzert mit dem großartigen ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Cornelius Meister im Großen Konzerthaussaal zu erleben war, tönt jedoch ausnehmend freundlich, beschwört anfangs gar schimmerndes c-Moll, bevor die Harfe mikrotonale Akupunkturnadeln setzt und sich alles ändert. Mike Swoboda darf als Solist ganz traditionell spielen, und das heißt hier so viel wie: seinen noblen Posaunenklang singen und sprechen lassen – mit steter Rückendeckung durch die drei Kollegen im Orchester. Am schönsten aber ist vielleicht sein langer Sinkflug gegen Schluss, ein schier endloses Glissando, begleitet von glitzernden Einwürfen.

Für das „Wo zum Teufel?“ schien dann Jorge E. Lopéz zuständig, der sich als eine Art Monumentalsymphoniker begreift: Seine dreisätzige vierte Symphonie entfaltete sich bei ihrer Uraufführung wie ein unbegreifliches Naturereignis. Da brodelt das Kontraforte, mault das Blech, schwirren die Streicher, ticken Metronome, lärmen Krampusglocken, stolpern Märsche, gleiten Cluster, wird die Historie der Gattung durch die Mangel gedreht – und immer klaffen Risse, Gräben, Schluchten à la Mahler. Das beeindruckt auch dort noch durch Kraft und Eigensinn, wo es ungelenk wirken mag.

Auf Ö1: 6. 11., 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)

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