Macbeth - Es ist wie verhext mit den Hexen

THEATER AN DER WIEN: LADY MACBETH
THEATER AN DER WIEN: LADY MACBETHAPA/HERWIG PRAMMER
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Warum schon wieder „Macbeth“?, mochten manche fragen. Bei diesem Stück geht ja doch meist fast alles schief. So auch diesmal an der Wien, wo der Hausherr selbst inszenierte.

Die Frage konnte nicht ausbleiben: Ist das die Visitenkarte Roland Geyers für seine mögliche Bewerbung als nächster Staatsoperndirektor? Zur Pause wurde darüber heftig diskutiert. Das ist für eine Opernstadt wie Wien angesichts der Ausschreibung des wichtigsten Intendantenpostens selbstverständlich, weil ja jedermann weiß, dass der zuständige Minister als Finanzchef des Theaters an der Wien lange Zeit eng mit dem dortigen künstlerischen Leiter zusammengearbeitet hat.

Also konnten die Neugierigen ja gar nicht anders, als sich angesichts der Premiere von Verdis „Macbeth“ Spekulationen hinzugeben. Zumal Roland Geyer wieder selbst zu inszenieren versuchte und damit zwiefach im Fokus stand, buchstäblich für alles verantwortlich, was auf der Bühne zu sehen und zu hören war.

Aber so heiß wie gekocht werden die Dinge bekanntlich nicht verzehrt. Und es ist eine Binsenweisheit, dass in einem Stagionehaus wie jenem an der Wien ganz andere Gesetze herrschen als in einem Repertoiretheater, in dem 300 Mal pro Jahr der Vorhang aufgehen soll und Inszenierungen für eine kleine Ewigkeit brauchbar zu sein haben.


Vom raschen Vergessen. Lassen wir die Kirche also im Dorf und Roland Geyer im Theater an der Wien. Der „Macbeth“, den er da soeben vom Stapel gelassen hat, darf nach sieben Vorstellungen wieder im Meer der wienerischen Operngeschichte untergehen und, wenn überhaupt, dann als Vehikel für eines der unzähligen Wiener Rollendebüts des Publikumsfavoriten Placido Domingo in der Erinnerung wach bleiben: Der ehemalige Tenor wird ab heute, Sonntagabend, dreimal den Macbeth singen – und zwar in einer musikalisch eigenwilligen Melange aus der Pariser Spätfassung von 1865 und dem Arienschluss, den Giuseppe Verdi seinem Titelhelden ursprünglich, anno 1847, noch zugestanden hat.

Was tut man nicht alles für einen Weltstar? Man sitzt sogar eine offenbar eigens für ihn angesetzte Neuinszenierung ab, die allerdings in der puren Pariser Version zwei Tage vor seinem glamourösen Auftritt Premiere hat – mit einer in den beiden Hauptpartien anderen Besetzung, die nicht zum edelsten gehört, das man im melomanischen Wien bei Verdi erwartet.


Verdis Lust am Hässlichen. Freilich: Im Fall des „Macbeth“ steht der Komponist selbst auf der Bremse und fordert, das weiß jeder Opernfreund im Schlaf zu zitieren, zwecks Schilderung der ganzen Grausamkeit der shakespearschen Vorlage, „ungestalte, hässliche Erscheinung“ und „raue, hohle, erstickte Stimme“.

Er sagt das über die Lady Macbeth, nicht über den Titelhelden, der diesmal in der Erstbesetzung, Roberto Frontali, von den akustischen Vorgaben des Komponisten ebenso Gebrauch macht – wobei das dort, wo in der Partitur auch für ihn Geflüster, gedämpfte Töne vorgeschrieben sind, enormen Eindruck macht.

Die großen Szenen Frontalis stehen auf der Habenseite der künstlerischen Bilanz dieser Premiere, harmonierten sie doch mit dem scharf geschliffenen, zündenden Zugriff des Dirigenten Bertrand de Billy, der die Wiener Symphoniker zu Attacke, kräftigster rhythmischer Akzentuierung und jenem fantastischen, zwecks dramaturgischer Wahrheit auch in grelle, aggressive Regionen getriebenen Farbenreichtum anspornt, dessen Extremwerte Verdi in dem zitierten Brief anspricht.

Das ist ein Verdi-Dirigat großen Zuschnitts, dem allerdings jenseits von Frontalis beängstigend böse schillernden Charakterisierungskünsten und manchem (nicht allen) der Einsätze des Schönberg-Chors an diesem Abend wenig entspricht; auch nicht Macbeths große Arie kurz vor dem Finale. Bemerkenswerterweise klingt auch sie forciert und ohne jeglichen Anspruch auf zumindest Erinnerungswerte an einstige Belcanto-Schönheit. Dabei sollte ja in diesem Moment vielleicht doch hörbar werden, dass dieser blutrünstige Machtmensch sich auch einer humaneren Vergangenheit erinnert. Seiner Lady, Adina Aaron, darf man optisch alle möglichen Attribute zuschreiben, nur jene nicht, die Verdi einfordert. Sie sieht blendend aus, gönnt sich aber dafür vokal eher mehr als das vom Meister geforderte Quantum an Drastik: Was an Höhen und Tiefen forciert und gequält klingt, ist vielleicht nicht immer dem artifiziellen Gestaltungswillen zuzuschreiben; von mangelnder Präzision in Sachen Tonhöhen hat Verdi ja nicht gesprochen . . .

Imposant und kraftvoll klingt dagegen der Banco von Stefan Kocan, sauber, wenn auch in etwas unsensiblem Einheitsforte, phrasiert Arturo Chacón-Cruz die Macduff-Arie und erhält dafür sogar anhaltenden Applaus von einem Publikum, das an diesem Abend meist stumm bleibt. Was sonst sicheren Effekt macht, verpufft in jener Ratlosigkeit, die man wohl auch angesichts Roland Geyers stilistisch uneinheitlicher, handwerklich alles andere als brillanter Regie empfindet, die in den Hexen- und Massenszenen ungeschickt bis zur unfreiwilligen Parodie (Choreografie: Peter Karolyi) führt.


Hieronymus-Bosch-Figuren. Professionell ist David Hanekes Computeranimation von Hieronymus-Bosch-Figuren. Sie zeigen freilich Grausamkeiten aus einer ganz anderen künstlerischen Welt. Jene Shakespeares ist diesmal nicht einmal zu erahnen, die von Verdi wird lediglich in Orchesterklängen angespielt, deren Animo die Singstimmen jedoch eher bremsen, als dass sie sie zur Schubkraft für mitreißende musikdramatische Entfaltung nützten.

Als Visitenkarte für einen Intendanten taugt dieser „Macbeth“ also kaum. Dafür wird er willkommenes Vehikel für eine neuerliche Verwandlung des Tausendsassas Domingo sein; womit wohl letztlich – wir sprechen ja von einem Stagionehaus – doch alles seine Ordnung hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2016)

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