Wiens Mimì: „Bei mir ist einfach alles dramatisch!“

(c) Michael Poehn / Wiener Staatsoper
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Anita Hartig hat ihre Weltkarriere von Wien aus gemacht und bleibt der Staatsoper auch weiterhin treu.

Man muss verbrennen in der Kunst“, sagt sie, „ich sehe das sehr dramatisch. Ich sehe ja alles dramatisch, denn in meinem Leben geht es nur ums Singen, um die Rollen, die ich zu gestalten habe. Und natürlich um die langweiligen Sachen wie Steuerzahlen. Aber das meiste, das Wichtigste ist die Stimme, sind die Partien, sind die melodischen Phrasen. Ich kann nicht nach einer Probe nach Hause gehen, die Tür hinter mir zumachen und alles vergessen.“

Was würde die Künstlerin der kleinen Anita als Rat mit auf den Weg geben, wenn sie ihr aus der Zukunft einen erteilen dürfte? „Ich würde ihr sagen: Analysiere nicht so viel, geh mehr aus dir raus, genieß mehr. Die Entscheidungen kommen ohnehin auf dich zu. Und ob du dann falsch oder richtig reagierst? Es stellt sich irgendwann heraus, dass alles relativ ist.“

Aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper hat Anita Hartig Karriere gemacht. Dem Haus ist sie treu geblieben, auch auf dem erreichten Platz unter den Spitzen der heutigen Opernstars. Von dieser Position konnte sie nur träumen, als sie einst beschloss, Sängerin zu werden: „Mit 17 dachte ich: Das ist es, was ich machen muss. Als Sängerin kann ich meine Sensibilität nutzen, kann meine Empfindlichkeit und Empfindsamkeit einsetzen und sogar meine Schüchternheit.“ In manchen Rollen passe das schließlich genau.

„Ich bin zwar sehr analytisch, zerebral, wenn man so will, und manchmal versuche ich, Worte zu finden, um gewisse Empfindungen zu beschreiben. Das reicht aber dann meist nicht, und dann kommt das Singen. Ich kann Verzweiflung singen, Schmerz und Lust. Auch Hässlichkeit und Schönheit kann ich singen. Ob das Publikum das dann auch hören kann, ist eine andere Frage“, setzt die „zerebrale“ Anita Hartig gleich nach.

Selbstschutz vor dem Regietheater

Die Reaktionen lehren: Man kann es offenbar hören, auch wenn die Sängerin selbst meint, die Momente, in denen es ihr gelinge, die Welt ganz „hinter sich zu lassen“ und auf der Bühne ganz frei zu sein, seien rar: „Es passiert selten“, sagt sie, „aber es passiert. Für diese Momente lebe und arbeite ich.“

Und sie lässt sich daran nicht gern durch außerkünstlerische Faktoren behindern, zum Beispiel durch unpassende Inszenierungen, die die Dinge ins Lächerliche oder Unglaubwürdige ziehen. Das ist ein Grund, warum Anita Hartig heute gern Angebote ablehnt: „Ich schütze mich und warte auf die richtigen Produktionen für mein Gemüt und meinen Intellekt und meine Sensibilität.“

In Wien ist sie gerade Mimì in Puccinis „Bohème“, Ende Februar wieder die Liu in „Turandot“ und im März erstmals Marguerite in Gounods „Faust“. New York holt sie als Antonia in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, eine Partie von der Wunschliste, die auch „manches von Mozart“ nennt, „aber nicht, wie das heute gern gemacht wird, mit fünf Probentagen, sondern so wie zuletzt in Covent Garden, da hatten wir für ,Figaro‘ zwei Wochen Zeit! Ich fühle mich eingezwängt, wenn alles immer schnell gehen muss. Ich mache die Dinge in meinem Tempo.“ Also nimmt sie sich auch Zeit für neue Rollen, etwa die Amelia in Verdis „Simon Boccanegra“ und die Desdemona, „die noch drankommen sollte, bevor ich 40 bin“. Wie gesagt, sie nimmt sich Zeit . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)

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