Nur Maschinen, Zitate, Lavaströme

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Themenbild(c) Wien Modern - Wiener Symphoniker
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Konzertante Kämpfe, dramatische Gesten und offene Fragen gab es beim Schlusskonzert mit den Wiener Symphonikern – die unter Ludovic Morlot keine Herausforderung scheuten.

Mit Charles Ives' rätselhaft-auratischer „Unanswered Question“ begann das Schlusskonzert von Wien modern 2016, um mit Ravels „La valse“ zu enden: Da taumelt die Donaumonarchie im Dreivierteltakt ihrem Untergang entgegen . . . Dem neuen künstlerischen Leiter, Bernhard Günther, ist heuer eine Art Relaunch des Festivals geglückt, das mit „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hier überhaupt?“ als Motto neben viel neuer auch ältere Musik beziehungsreich ins Visier nahm, ohne je altväterisch zu wirken.

Schon gar nicht mit Olga Neuwirth. „Trurliade – Zone Zero. Relief méta-sonore“, ihr neues Werk, ist eine Art Schlagzeugkonzert. Der Titel spielt auf Stanisław Lem an, weitere Bezugspunkte bilden Jean Tinguelys maschinenähnliche, Geräusche erzeugende Skulpturen und die ironisch gebrochenen Arbeiten des Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss. Wieder einmal macht Neuwirth Bedingungen und Auswirkungen der Automatisierung zum Thema, arbeitet sich an ihrer Faszination für den Kampf Mensch gegen Maschine ab. Die Gattung Konzert bietet hier eine Arena, in der alle Mittel erlaubt sind: beim Solisten neben dem üblichen Arsenal auch Konservendosen und ein Ölfass, im übermächtig erscheinenden Orchester Handventilatoren u. a. Ein anspruchsvolles, aber kein Virtuosen- oder gar Showstück, selbst wenn der glänzende Solist Victor Hanna am Ende mit einem Hammer à la Mahler zum Befreiungsschlag ausholt. Die etwas additiv anmutende Struktur macht den großen Zusammenhang nicht durchwegs deutlich, bietet aber abschnittsweise genug Binnenspannung, um die Aufmerksamkeit wach zu halten. Jazzige Einsprengsel, teils garniert mit der cartoonesken Komik von Wah-Wah-Dämpfern, Zitate („We shall overcome“) und Zuspielungen mechanischer Instrumente schaffen eine unwirkliche, albtraumhafte Atmosphäre. Dazu passen ein gespenstischer langsamer Walzer und explosive Crescendi, die auf „La valse“ zu verweisen scheinen. Die Wiener Symphoniker scheuten unter Ludovic Morlot jedenfalls keine Herausforderung.

Schiske und die „großen B“ der Musik

Neuwirths Überfülle ging eine klar abgezirkelte Beschränkung voraus, die in sich wiederum großen Reichtum barg: die 5. Symphonie „auf B“ op. 50 von Karl Schiske, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre. Selbst als Lehrer ein wichtiger Gründervater der Nachkriegsavantgarde in Österreich, bezieht er sich in diesem Werk seinerseits auf die „großen B“ der Musikgeschichte: Das B-A-C-H-Motiv eröffnet seine Zwölftonreihe, Beethoven, Bruckner und Brahms sind mit ins Geschehen verwobenen Zitaten präsent. Eingerahmt von einem auf- und abgebauten Cluster aus einander überlagernden Pendeltönen, greifen scharf umrissene Motive und Gesten in verschiedenen Gruppen kaleidoskopisch ineinander. Um alle Schönheiten herauszuarbeiten, hätte es eines präziseren Dirigenten oder mehr Probenzeit bedurft. Als einzige Uraufführung war James Clarkes „Untitled No. 8“ zu hören, eine toccatenartige Studie, bei der sich Nicolas Hodges am teilweise achteltönig verstimmten Klavier gegen die Glissando-Lavaströme des Orchesters zu stellen hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)

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