Wagners Macht über die Stimme

Dorothea Röschmann sang Lieder im Brahmssaal des Musikvereins: ein Crescendo von Schubert bis Wolf.

Die Lösung des Rätsels folgte in der zweiten Zugabe. Da gestalteten Dorothea Röschmann und Malcolm Martineau die „Träume“ aus Richard Wagners „Wesendonck-Liedern“ vollendet, weich und satt strömten die Gesangsphrasen. Die Stimme der Röschmann hat enorm an Volumen gewonnen, scheint, so dachte man zumindest während der eingangs gesungenen Schubertlieder, in der Höhe kaum noch zu bändigen, droht die Dimensionen des Saales zu sprengen.

Doch bestach den ganzen Abend lang die Ausdruckskraft und, wo vonnöten – etwa im ersten von Mahlers „Rückert-Liedern“ – der Witz, mit dem beide Künstler Pointen zu setzen wissen. Die Strahlkraft des Soprans ist ungebrochen, in manchen Momenten schlicht überwältigend; und Wagner klopft hörbar ans Tor.

Nicht nur, was die Stimmreserven der Dorothea Röschmann betrifft, sondern im Verlauf des Programms auch als Katalysator unseres Harmonie-Empfindens. Goethes Mignon diente als dramaturgische Klammer: Schubert zuerst, Hugo Wolf als Finale. Faszinierend, wie schon der erste dieser beiden Liederpäpste aus der klassischen Konsonanzlehre ausbricht, um die Seelentiefen auszuloten, Sehnsüchte und Leiderfahrungen in ergreifenden Klangrealismus zu verwandeln. Wolf war dann durch das Stahlbad des „Tristan“ gegangen (eine Erfahrung, die dann in den „Träumen“ quasi rückwirkend bestätigt wurde). Da bricht sich in höchstem Aussdrucksbedürfnis, angetrieben von denselben Texten, die radikale Tonsprache der Moderne Bahn: Und Sängerin wie Klavierpartner erfüllen die quasi dramatischen Ansprüche dieser Liedkunst aufs Natürlichste. (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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