Mozart tiefsinnig, Schumann schwerelos

Grigori Sokolow
Grigori Sokolow(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Meisterpianist Grigori Sokolow erkundete Fantasien und Sonaten in c-Moll und C-Dur.

Ist sie ein Kinderspiel, diese „Sonata facile“ KV 545? Von Arthur Schnabel soll das Bonmot stammen, Mozart sei für Kinder zu leicht und für Erwachsene zu schwer. Wenn Grigori Sokolow „Eine kleine klavier Sonate für anfänger“ interpretiert, wie der Komponist selbst sie genannt hat, wächst die Musik jedenfalls über jede naive Reinheit hinaus. Freilich fällt da kein lautes Wort, weil Sokolow die Dynamik auf der Apothekerwaage bemisst, jeden Ton, jeden Triller, jede Phrase aufs Gran mit den anderen abstimmt, die Wiederholungen mit charmanten Verzierungen anreichert. Und Reichtum sowie Weite des Klangs, den der Meisterpianist mit samtenem Anschlag auch in eng bemessenen Lautstärkegrenzen erzielen kann, sind staunenswert.

Aber das Stück ist spätestens im Schlussrondo in einer anderen Welt angelangt: Wo viele Pianisten sich am fröhlichen Drauflos erfreuen, drosselt Sokolow das Allegretto-Tempo, als taste er sich an eine Erinnerung aus unbeschwerter Jugendzeit heran. Das setzt die Heiterkeit unter Anführungszeichen, lässt sie nicht im Moment wie neu erstehen, sondern tränkt sie mit Wehmut, macht sie zur Rückschau eines Älteren, Gereiften. Auf manche Ohren mochte das etwas prätentiös wirken – aber Sokolow ließ die Sonate ja nicht für sich stehen, sondern leitete aus ihrem Tiefsinn, von dem man hier schon sprechen musste, gleichsam den ganzen ersten Konzertteil her: Ohne Pause folgten Fantasie KV 475 und Sonate KV 457, aufeinander Bezug nehmend und verbunden durch Gestus und die gemeinsame Tonart c-Moll. Den Kontrast zwischen Forte und Piano im Eröffnungsmotiv der Fantasie gab Sokolow da überraschend preis, deutete ihn sogleich um in einen farblichen Gegensatz – und dieses düstere Kolorit behielt in reichen Schattierungen die Oberhand. Dynamisch regierte bei den vielgestaltigen Schmerzens- und Klagelauten lang Zurückhaltung, erst im Più Allegro erreichte er ein herbes Forte – analog zur Sonate, wo erst die aufgerührt hämmernden, wie manisch wiederholten Forte-Passagen im Finale den Weg zu den letzten, mächtigen Steigerungen freigaben. Grüblerisch und intim tönte die Fantasie, offizieller und gezügelter die Sonate – mit beiden machte Sokolow den Eindruck, als handle es sich um ganz private Musik.

Schumann: Nicht nachlassende Dichte

Das änderte sich nach der Pause bei Schumanns kapitaler C-Dur Fantasie op. 17, die (bis auf eine wenige Sekunden dauernde Konzentrationsschwäche des Pianisten) mit der nicht nachlassenden Dichte ihrer musikalischen Erzählung fesselte, die nun tatsächlich ans große Publikum gerichtet schien. Plakativ nahm sich dennoch nichts aus – nicht einmal die orchestral gleißenden Akkorde des gloriosen Marsches inmitten, dem Sokolow kapriziöse Gewalt verlieh. Die große Geste des Beginns, der Legendenton und die poetische Innerlichkeit, das minutiös ausbalancierte Verhältnis der Akkordtöne, zwischen Kantilene und Begleitung: Alles griff wie selbstverständlich ineinander. Schon in der vorausgeschickten Arabeske op. 18 schien jeder kleine Aufschwung auf individuell expressive Weise die Schwerkraft zu überwinden.

Jubelstürme und der übliche, rituelle Zugabenreigen, diesmal mit fünf Moments musicaux und einer Chopin-Mazurka.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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