Neujahrskonzert: 2017 ist die Gemütlichkeit vorbei

Gustavo Dudamel sorgte für Energie und Turbulenz bis zum Umfallen.
Gustavo Dudamel sorgte für Energie und Turbulenz bis zum Umfallen.(c) APA (Herbert Neubauer)
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Bevor 2018 der erfahrene Riccardo Muti ans Pult zurückkehrt, baten die Philharmoniker den jüngsten Neujahrs-Dirigenten aller Zeiten in den Musikverein: Gustavo Dudamel sorgte für Energie und Turbulenz bis zum Umfallen.

Mit dem Schlusstakt der „Pique Dame“-Ouvertüre Franz von Suppés flog der Taktstock durch die Luft und traf einen philharmonischen Primgeiger, der ihn charmant retournierte. Die Besucher der Voraufführung des Neujahrskonzertes am Silvesterabend bekamen diese Pointe als ungeplante Zusatzeinlage serviert – bezeichnend, denn der Maestro, den das Orchester diesmal aufs Musikverein-Podium gebeten hat, ist als „Musikdarsteller“ berühmt geworden: Gustavo Dudamel, der bisher jüngste Wiener Neujahrsdirigent, hat als Galionsfigur des venezolanischen Kinder- und Jugendförderungsprojekts Karriere gemacht. Er versteht sich auf die Musikvermittlung – nach vorn in Richtung Orchester und erst recht hinter seinem Rücken.

Das Publikum liebt Dudamels tänzerische Umsetzung seiner Führungsaufgabe und lässt auch seine Aufmerksamkeit von ihm liebend gern dirigieren. Beim traditionellen Radetzkymarsch gelang zuletzt sogar, dynamische Nuancen aus dem notorischen Mitpaschen zu holen. Hier laut, da leise, das wussten schon Dudamels Vorgänger dem Auditorium zu suggerieren; aber jetzt Diminuendo, nun Crescendo, das war neu.

Dass die Sache mit dieserart spontan funktionierenden Erziehungsarbeit in Richtung Orchester bei einer fürs wienerische Selbstverständnis so heiklen Gelegenheit wie diesem in alle Welt übertragenen Neujahrskonzert nicht ganz so einfach ausfallen würde, dürfte dem Debütanten klar gewesen sein. In keinem Moment mussten die Philharmoniker den Eindruck gewinnen, hier würde ein Gast aus fernen Landen versuchen, ihnen Neuigkeiten über Walzertakt und Polkaschritt zu erzählen versuchen.

Zündende Galoppaden

Das weiß der welterfahrene, wenn auch immer noch junge Maestro ziemlich gut: Es gibt Momente, in denen man eine gut geölte Maschine nicht durch Interventionen am reibungslosen Ablauf ihrer wohlkoordinierten Bewegungen hindern darf. Allein, es finden sich da doch allerhand Augenblicke, in denen die kollektive Aufmerksamkeit der Spieler sich dem Taktstock zuzuwenden hat, will man sich nicht ausschließlich auf den Bogen des Konzertmeisters verlassen.

Was das betrifft, waren vor allem Polkas, Galoppe und Quadrillen Dudamels Force. Wie man Turbulenz zu schier haltloser Rasanz steigert, das weiß er am besten. Er ist der ideale Stretta-Mann; dass ihm ausgerechnet am Ende einer Schluss-Steigerung der Dirigentenstab aus der Hand saust, ist, wie gesagt, die passende Illustration.

Gustavo Dudamel in Aktion.
Gustavo Dudamel in Aktion.(c) APA (Herbert Neubaer)

Zumal in einem Programm, in dem die Faschings-Effekte, die früher schon des Öfteren ausgeartet waren, dezent zurückgefahren wurden, einmal ein Trillerpfeifchen und eine entzückende Tanzeinlage im Parkett genügten diesmal; was Kenner dankbar zur Kenntnis nahmen.

Es geht ja letztendlich doch um die Musik. Und um die Walzer? Unter denen musste man diesmal die Ohrwürmer suchen. Auf Waldteufels „Schlittschuhläufer“, die zwar aus Paris kommen, aber doch einen Ableger wienerischer Tanzkultur darstellen, folgte Ziehrers „Hereinspaziert“, vom Walzerkönig selbst aber nebst „Tausendundeiner Nacht“ vor allem „Mephistos Höllenrufe“ und das Opus 205, das von seinem Schöpfer ausdrücklich „Die Extravaganten“ benannt wurde. Der Titel deutet schon auf die höchst ungewöhnliche Machart der Komposition.

Johann Strauß war ja auch den avantgardistischen Strömungen seiner Zeit nicht abhold. Er kannte die Errungenschaften Franz Liszts und Richard Wagners und wusste sie auf seine Weise zu würdigen. Wo die Zeitgenossen harmonisch simple, immer gleiche Abläufe erwarteten – zu denen freilich immer neue Melodien gespielt werden sollten –, setzt Strauß hie und da überraschende Eintrübungen, kühne Harmoniefolgen; der strenge Eduard Hanslick sprach angesichts von Werken wie den „Höllenrufen“ geradezu von „Walzerrequiems“.

Da wird manchmal ein quasi-symphonischer Anspruch formuliert, den die Philharmoniker selbstverständlich auch einzulösen wissen. Das diesbezügliche Können lenkt ein wenig ab von der Tatsache, dass sich die besagten Melodien unter Dudamels Leitung vielleicht ein wenig unflexibler, weniger natürlich geatmet entfalten als gewohnt. Joseph Straußens Polka mazur „Die Naßwalderin“ im Zentrum des Programms wirkte wie ein Menetekel: Dem Ländlerthema war jeglicher tänzerische Charme, jegliche „Gemütlichkeit“ ausgetrieben. Freilich: Man spielte die Musik im wunderbar sensiblen Arrangement des Wiener Dirigenten Wolfgang Dörner, das kammermusikalischen Reiz aus dem Duett des Konzertmeisterpaars Honeck/Danailova schöpfte – womit wir schon wieder bei den Vorzügen dieses Programms wären: Klangliche Subtilitäten holte Dudamel in Fülle aus den verhalteneren Partien der Stücke.

Klangzaubereien als Balanceakt

Da war er auch in Richtung seiner Musiker ganz unwiderstehlicher Animator. In Sachen Farbgebung, Klangzauberei lässt sich das Orchester nie lumpen, am allerwenigsten zu Neujahr. In diesem Sinne durfte man ein weiteres Debüt mit Recht feiern: Die Damen und Herren des Singvereins (einstudiert von Johannes Prinz) sangen Otto Nicolais „Mondchor“ aus den „Lustigen Weibern“ – ein zartes Intermezzo als Gegenpol zu energetischen Galoppaden. Man kann auch auf diese Weise die nötige Balance finden.

("Die Presse", Printausgabe, 02.01.2017)

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