Elbphilharmonie: Das intime Klang-Ei, das nichts verzeiht

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GERMANY-MUSIC-ENTERTAINMENT-ELBPHILHARMONIE(c) APA/AFP/POOL (CHRISTIAN CHARISIUS)
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Die Elbphilharmonie, Hamburgs neues Wahrzeichen und Kulturflaggschiff, wurde nach Negativrekorden bei Bauzeit und Kosten mit einem Überraschungsprogramm endlich eröffnet: ein architektonisches Meisterwerk, das akustisch zu Höchstleistungen zwingt.

„Hamburger Ebb’ und Fluth“ wird die Wassermusik Georg Philipp Telemanns genannt. Diese Orchestersuite hätte bestens ins Eröffnungsprogramm der Elbphilharmonie gepasst – als Symbol dafür, wie mächtig die kulturpolitischen Gezeiten an dem architektonisch-musikalischen Flaggschiff der Freien und Hansestadt gedrückt und an ihm gezerrt, ja es beinah zum Kentern gebracht hatten. Fast zehn Jahre Bauzeit mit Rechtsstreitigkeiten, dramatischem Stopp, Untersuchungsausschüssen, Nach- und Neuverhandlungen sowie notgedrungen mehrfach verschobenem Einweihungstermin sind vergangen, die Kosten haben sich multipliziert – vor allem deshalb, weil der ursprünglich genannte Betrag ganz unrealistisch, aber seinerzeit desto leichter politisch vertretbar gewesen waren. Warum denn nicht der Bund einen Teil des letztlich auf 789 Steuermillionen angewachsenen Betrages übernommen habe, fragte ein Journalist bei der Pressekonferenz am Eröffnungstag. Niemals, konterte der Erste Bürgermeister Olaf Scholz mit echt hanseatischem Selbstbewusstsein, niemals käme Hamburg auf die Idee, sich von der Bundesrepublik Deutschland einen Konzertsaal bauen zu lassen. Immerhin ließen sich auch die ortsansässigen „Pfeffersäcke“ nicht lumpen, die betuchten Hamburger Patrizier, und trugen mit Einzelspenden in der Höhe von bis zu 30 Millionen zum Gelingen bei: Zu Recht lobte Bundespräsident Joachim Gauck beim Einweihungsfestakt das „bürgerschaftliche Engagement“ für dieses neue „Juwel der Kulturnation Deutschland“. Jetzt, nach Vollendung, scheint vieles verziehen. Hamburger und Gäste stürmen nicht nur die öffentliche Plaza auf dem Flachdach des Kaispeichers, diese Aussichtsfuge zwischen Alt und Neu, sondern auch die Konzerte. Bis zum Ende der Saison kann sich Intendant Christoph Lieben-Seutter über ausgebuchte Säle freuen; auch zusätzliche Abende sind innerhalb von längstens einer Stunde ausverkauft.

Über der Plaza erhebt sich der eigentliche Neubau, ein durchdachtes Meisterwerk des Basler Architektenduos Herzog & de Meuron und bereits vor der Eröffnung ein neues Wahrzeichen der Stadt: außen ein Stück wogender Elbe aus Glas; innen vor allem ein Großer Konzertsaal mit 2.100 Plätzen, der zur Schalldämmung wie ein riesiges Ei in einer Doppelschale auf 362 Stahlfedern ruht. Nichts wirkt hier protzig, aber auch nichts billig oder scheint faule Kompromisse zu schließen: Noblesse mit Unterstatement. Im Weinbergsystem mit dem Dirigentenpult im Zentrum angeordnet, von dem kein Sitz mehr als 30 Meter entfernt ist, sind die sanft geschwungenen Ränge und Ebenen sowohl von außen als auch von innen sämtlich zugänglich und leicht zu wechseln – im Unterschied etwa zur Berliner Philharmonie. Die Farben sind hell und freundlich, werden von Holz und den individuell gefrästen Gipsfaserplatten dominiert, deren Struktur an Krustentiere erinnert. Sie bestimmen die Akustik, die Yasuhisa Toyota teils via Modellversuch ausgetüftelt hat.

Ihre erste große Bewährungsprobe hat sie bestanden – ohne Telemann, wie gesagt. Aber Thomas Hengelbrock hat für das Eröffnungskonzert unter dem Titel „Zum Raum wird hier die Zeit“ auch so ein großartiges Programm zusammengestellt, dessen durch Stile und Epochen springende Buntheit im ersten Moment über seinen Beziehungsreichtum hinwegtäuscht. In dem „Parsifal“-Zitat ist ein Augenzwinkern versteckt: Wie viel Zeit dieser Raum zur Entstehung gebraucht hat! Im ersten Teil Musik des 20. Jahrhunderts im Wechsel mit Klängen um 1600, ohne störenden Applaus: Den Anfang macht sinnigerweise die „Mutter des Orchesters“ im Alleingang, Solooboist Kalev Kuljus mit Benjamin Brittens elegischem „Pan“, später betört auch Philippe Jaroussky zu Harfenklängen mit Caccinis „Amarilli mia bella“, das Ensemble Praetorius singt und spielt eine Motette seines Namenspatrons. Sie agieren auf verschiedenen Rängen und füllen den Saal mit Präsenz und Intimität zugleich. Auf dem Podium zeigt Chefdirigent Hengelbrock die Stärken des NDR Elbphilharmonie Orchesters mit den Klangkonglomeraten von Bernd Alois Zimmermanns „Photoptosis“, aus denen Zitate hervorblitzen, mit den jazzigen Eruptionen von Rolf Liebermanns „Furioso“, bei entrücktem Dutilleux, bei der etwas eckig geratenen Ekstase von Messiaens „Turangalîla“-Schluss. Auch von einem Platz hinter dem Orchester aus verzerrt sich das Klangbild nicht wesentlich; selbst größer besetzte Stücke wirken plastisch, durchhörbar und doch mit einer gewissen Rundung. Freilich lässt die Akustik kaum Gnade walten: Klangliche Unebenheiten und kleine Ausrutscher kommen den Hörern ebenso zum Greifen nahe wie weit entfernte Hustenanfälle. Im zweiten Teil dann nach einem flüssigen „Parsifal“-Vorspiel Neues von Wolfgang Rihm: „Reminiszenz“, eine spätromantisch durchtränkte Hommage an Hans Henny Jahnn mit Pavol Breslik als Tenorsolist. Hier und beim Finale von Beethovens Neunter entzaubert sich das schon vorab vehement gerühmte Wunder: Hinter dem Rücken der Sänger ist’s selbst in der Elbphilharmonie Ebbe mit dem Hören. Gut zu wissen. Sei’s drum: Das Publikum, 1.600 geladene Gäste und 500 per Los aus 200.000 Bewerbern ausgewählte Gewinner von Gratiskarten, flutete den Saal zuletzt mit Standing Ovations.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2017)

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