Riccardo Mutis Tugenden: Ingrimm, Majestät

Riccardo Muti (Archivbild).
Riccardo Muti (Archivbild).(c) EPA (SIGI TISCHLER)
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Das Chicago Symphony Orchestra erntete unter der Leitung seines Chefdirigenten Jubelstürme für ein höchst pittoreskes Programm mit Musik von Hindemith, Elgar, Mussorgsky – und zuletzt Giuseppe Verdi.

„Verdi“, kündigte Riccardo Muti lakonisch die Zugabe an – und bevor er die Sinfonia zur „Sizilianischen Vesper“ nennen konnte, brandete erneut Jubel auf. Was dann folgte, lässt sich als Paradebeispiel für Mutis Verdi-Interpretationen bezeichnen – und es fasste zugleich die Vorzüge des ganzen Abends zusammen: orchestrale Farbenpracht, zum Leben erweckt durch pointierte Artikulation, weit gefächerte Dynamik sowie rhythmische Genauigkeit ohne Starre. Überall lodert Feuer, im Tumult der Schlachtenmusiken ebenso wie im „O, tu Palermo“ der Celli. Und da hier niemand singt, gibt es auch kein Murren gegen Mutis Beharren auf dem „come scritto“-Gebot, weil kein Melomane auf traditionell eingelegte, aber nicht komponierte Spitzentöne verzichten muss . . .

Doch war dieser Verdi Importware aus den USA: Das Chicago Symphony Orchestra ist unter der Leitung seines Chefdirigenten auf Europatournee; nach Stationen in Paris, in Hamburgs neuer Elbphilharmonie sowie in der Mailänder Scala, wo Muti seit 2005 nicht mehr aufgetreten war, gastiert es nun zweimal im Wiener Musikverein.

Hindemiths düsteres „Showpiece“

Die Programme stellen populären Reißern interessante Raritäten des 19. und 20. Jahrhunderts voran. Für Paul Hindemiths Orchesterwerke etwa hat sich Muti freilich immer wieder eingesetzt; diesmal erklang die Konzertmusik für Streicher und Blechbläser op. 50. Entstanden 1930, ist sie eine Art düsteres „Showpiece“, bietet einen Exerzierplatz für zwei brillante Instrumentengruppen, die einander in Ingrimm und Majestät gegenüberstehen, sich mit bärbeißigem Elan durchmischen und immer wieder zu erhabenen tonalen Schlüssen zusammenfinden. Großartig schon hier, mit welch scharfen Konturen auch butterweiche Bläserakkorde kommen, wie die Attacke des Blechs den sonoren Streichern nirgends nachhinkt, wie Soli von Posaune und Trompete schweben.

In der schwelgerisch ausgebreiteten Cinemascope-Landschaft von Edward Elgars „In the South (Alassio)“ lugen dann Strauss und Korngold als Reisegefährten des Engländers um allerlei musikalische Ecken. Ritterliche Themen bewähren sich unter sengender Orchestersonne – und zum Flimmern der Violinen und getupften Harfenakkorden verzaubert ein traumverloren zartes Bratschensolo.

Nach der Pause Mussorgsky, zunächst ein punktgenau explodierender Hexensabbat der „Nacht auf dem kahlen Berge“ mit großartigem Klarinettensolo im Epilog – und die „Bilder einer Ausstellung“ in Ravels Instrumentierung. Inmitten souverän disponierter Brillanz bleiben der Humor der tanzenden Küken und die Katakomben in spezieller Erinnerung: Sie zelebrierte Muti als mystisches Zentrum, in edler Breite und mit überraschend weichen Dissonanzen. Die weihevolle Öffnung des „Großen Tors von Kiew“ fegte die Erinnerung an kleine Konzentrationsschwächen hinweg: Standing Ovations.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2017)

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