Osterfestival Tirol: Schillernde Klänge im Dunkeln

Auch hier ein Spiel mit Licht und Schatten: In William Forsythes Choreografie „Steptext“ verschwinden die Tänzer der Compagnie CCN – Ballet de Lorraine immer wieder in der Finsternis.
Auch hier ein Spiel mit Licht und Schatten: In William Forsythes Choreografie „Steptext“ verschwinden die Tänzer der Compagnie CCN – Ballet de Lorraine immer wieder in der Finsternis.(c) Arno Paul
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Licht und Finsternis, Musik und Stille, Wahrheit und Lüge: In Hall und Innsbruck griffen Gegensätze ineinander – auf virtuose, eindringliche Art.

Tonleitern, die in Kaskaden herab- und durcheinanderrieseln, sphärische Streicherklänge, älplerisch anmutende Teiltonreihen, die sich im Blech auftürmen, endlose Anstiege wie bei den unmöglichen Treppen M. C. Eschers, die in sich selbst zurückführen – und über allem die rätselhafte Schönheit dieser rastlosen Musik: Georg Friedrich Haas' „in vain“ (2000) ist wohl nach wie vor das stärkste Stück seines Komponisten, und die vereinten Kräfte der Tiroler Ensembles Windkraft sowie Konstellation unter Kasper de Roo ließen es am Gründonnerstag im Salzlager Hall virtuos schillern. Und zwar auch in jenen Passagen, die partiturgetreu in völliger Dunkelheit erklangen: Immer wieder taucht die Musik in die Nacht ein, wird in einem längeren Abschnitt nur von einem Dutzend Blitze erhellt.

Am Ostersonntag dann kam auch die Musik ins Stocken. In William Forsythes Choreografie „Steptext“ (1985) blitzt Bachs zugespielte d-Moll-Chaconne zuerst nur sekundenweise auf, um dann akustisch Land zu gewinnen, parallel zu den wechselnden Paarspielen von einer Frau und drei Männern. Doch auch die Beleuchtung setzt harsche Schnitte, lässt die Tänzer immer wieder im Dunkel verschwinden . . .

Der Sieg des Lichts über die Finsternis zählt zum archetypischen Urgrund heiliger Zeiten. Bei den künstlerischen Begegnungen, die das Osterfestival Tirol in Hall und Innsbruck regelmäßig bietet, haben heuer gleich einige Veranstaltungen mit dem Wechsel von Hell und Dunkel gespielt, metaphorisch oder konkret. Am Karsamstag etwa sollte ein mögliches Vergehen gegen die Regeln eines Studentenheims beleuchtet werden: Eine Bewohnerin will aus dem Zimmer einer anderen eine Männerstimme gehört haben; eine ältere Studentin befragt die beiden. Videozuspielungen, teilweise live, vermischen sich im minimalistischen Setting ebenso wie Realität und Behauptungen, sogar die Zeitebenen.

Gesprochene, getanzte Kontrapunktik

Mit jedem Puzzleteil an Information ändert sich das Gesamtbild, das sich das Publikum macht: Man wird in die Rolle eines Geschworenen gedrängt. Die Dialoge scheinen teilweise nach musikalischen Gesetzen abzulaufen, verdichten sich sogar zu zweistimmigem Kontrapunkt. Übrigens: Die Sprache ist Farsi, der Ort des Geschehens Teheran, die Studentinnen tragen Kopftuch. Doch der Schauplatz tut wenig zur Sache, sind doch die Mechanismen des Verdachts und des Gerüchts überall die gleichen. Und überall regt sich Widerstand gegen absurde Restriktionen: ein eindringliches Gastspiel der Mehr Theatre Group mit dem Stück „Hearing/Anhörung“, geschrieben und inszeniert vom iranischen Theatermacher Amir Reza Koohestani.

Als traditionelle Vertonung der Leidensgeschichte war am Karfreitag eine an sich eher karge Johannes-Passion Alessandro Scarlattis aufgeboten, durch die mit ausdrucksstarkem Mezzosopran Giuseppina Bridelli als Evangelist führte. Leonardo García Alarcón schob am Pult von Millennium Orchestra, Cappella Mediterranea und dem Kammerchor Namur sechs Scarlatti'sche Responsorien zur Karwoche in das Werk ein, die die Rolle von Chorälen übernahmen. Das mochte die Passion streng genommen verfälschen, verlieh der andächtigen Aufführung aber willkommenen mediterranen Glanz.

Zum Finale gastierte die Compagnie CCN – Ballet de Lorraine mit drei Klassikern des 20. Jahrhunderts. Auf das erwähnte „Steptext“ folgte Twyla Tharps „The Fugue“: Ganz ohne Musik, aber außerordentlich musikalisch, tanzten drei Männer Bach'sche Kontrapunktik vor. Zuletzt das opulente Ensemblestück „Sounddance“ von Merce Cunningham: Zu David Tudors elektronischer Musik, in der es vergnüglich gluckst, blubbert, kratzt, zirpt und quietscht, wirbelten Gruppen, Paare und Solisten in ständigem Wechsel über die Bühne. Jubel allenthalben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2017)

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