Goernes Mahler: Grausamkeit der Schönheit

Matthias Goerne
Matthias Goerne imago/Rudolf Gigler
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Der deutsche Bariton gewährte im Verein mit dem Pittsburgh Orchestra unter Manfred Honeck einen bewegenden, oft erschütternden Einblick in die tönenden Seelenwelten der „Wunderhornlieder“.

Matthias Goerne ist einer der aufregendsten Singschauspieler unserer Zeit. Nach Bergs Wozzeck in Salzburg sang er Mahlers „Wunderhornlieder“ und brauchte keine Szenerie, es genügt ihm das Podium des Auditoriums von Grafenegg, um die eingangs gewählte Charakterisierung trefflich zu bestätigen: Wenn er die vordergründig naiven, in Wahrheit tief- und oft abgründigen Texte rezitiert, dann wird der Hörer zum Zuschauer.

Der vernimmt nebst manch humorigem Aperçu schauerliche Stimmen aus dem Jenseits, er hört, wie marschierende Soldaten, Heldenepen auf den Lippen, dem Tod entgegenmarschieren – und die Unglaubwürdigkeit der martialischen Töne schwingt nicht nur in Geornes Stimme, sondern auch im Spiel des Pittsburgh Orchestra mit, das Manfred Honeck in vollem Bewusstsein von Mahlers Doppelbödigkeiten führt.

Grelle Farbeffekte, jähe dynamische Einbrüche strafen schneidige Trompetensignale und zackige Trommelrhythmen Lügen. Goernes unerbittlich klare Diktion lässt das Publikum jede Silbe verstehen, die Wandlungsfähigkeit seiner Artikulation und Tongebung legt auch die Zynismen bloß: Wie man das Gegenteil von dem singen kann, was gemeint ist, hat Mahler bei Wagner gelernt; und Goerne lässt sein Publikum unmissverständlich die Wahrheit fühlen, lässt es mitleiden. Oder mitträumen, je nachdem: Eine flehentlichere, doch glaubensgewisse Wiedergabe des „Urlichts“ lässt sich nicht denken.

Lyrische Qualitäten im Rhythmusfuror

Die technische Meisterschaft dieses Sängers, der die Register bruchlos zu mischen versteht, paart sich mit natürlichstem Einfühlungsvermögen. Versunken vergaß selbst das applausfreudige Grafenegger Publikum bald auf das Klatschen zwischen den Liedern.

Die Pittsburgher Gäste hatten nach einer schwungvoll und animiert, aber auch ein wenig lautstark musizierten Suite aus Antonín Dvořáks „Rusalka“ bei Mahler schon die Akustik des Grafenegger Saals im Griff.

Beethovens Siebente zuletzt, energetisch und (bis in die akribische Einhaltung aller Wiederholungen und den Pizzicato-Schluss des Allegrettos) merklich an der Interpretation von Manfred Honecks unübersehbarem Vorbild, Carlos Kleiber, orientiert – wurde zum feinen Beispiel für eine gut durchhörbare, die lyrischen Qualitäten dieser „Apotheose des Tanzes“ nicht unterspielenden Darstellung; durch ein Orchester, das seine amerikanische Herkunft (vor allem im Blechbläserklang) nie verleugnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2017)

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