Die Seine mündet in die Donau

Der japanische Architekt Shigeru Ban errichtete den Gebäudekomplex „Seine musicale“ auf der Ile Séguin im Stadtteil Boulogne-Billancourt.
Der japanische Architekt Shigeru Ban errichtete den Gebäudekomplex „Seine musicale“ auf der Ile Séguin im Stadtteil Boulogne-Billancourt.Seine musicale
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Frankreichs Hauptstadt hat gleich drei neue Konzertsäle bekommen, schickt Produktionen ins Theater an der Wien und verliert seinen Chefdirigenten an Wien.

Lang wurde in Paris der Mangel an Konzertsälen für klassische Musik beklagt. Bis 2015 stand dafür eigentlich nur die nach dem niederösterreichischen Komponisten und Klavierfabrikanten Ignaz Pleyel benannte Salle Pleyel zur Verfügung. Doch seither ging es Schlag auf Schlag: Auf die zumindest innen spektakuläre neue Philharmonie Jean Nouvels (Sitz des Orchestre de Paris, 2400 Plätze) folgte die architektonisch nicht minder ambitionierte Fondation Vuitton von Frank Gehry, die zwar der bildenden Kunst gewidmet ist, aber auch einen Konzertsaal besitzt (Fassungsvermögen je nach Bestuhlung 350–700 Zuhörer).

Und jüngst kam mit dem Auditorium der Seine Musicale noch ein dritter, für etwa 1100 Besucher gedachter Saal hinzu in einem vom japanischen Architekten Shigeru Ban errichteten Gebäudekomplex auf der Île Séguin im Stadtteil Boulogne-Billancourt. Hier stand bis 2005 die riesige, legendäre, aus der Industrie- und Arbeitskampfgeschichte Frankreichs nicht wegzudenkende Renault-Automobilfabrik.

Nach deren Absiedlung blieb die Insel leer. Pläne für eine kulturelle Nutzung scheiterten, darunter das Megaprojekt des Modemilliardärs François Pinault, der ein bilbaoähnliches Museum für seine Kunstsammlung errichten wollte. Entnervt von bürokratischen Stolpersteinen und Grün-Initiativen warf er das Handtuch und wanderte mit seiner kostbaren Sammlung nach Venedig aus, wo er sie seither sowohl im Palazzo Grassi als auch in der Punta della Dogana bei Santa Maria della Salute ausstellt.

Fast hätte man gedacht, dass die Insel für immer Brachland bleiben würde, aber jetzt ist mit der Seine Musicale wenigstens ein Drittel des weitläufigen Geländes der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht worden. Der schiffsähnliche Gebäudekomplex besteht im Prinzip aus zwei Entitäten: einer bis zu 6000 Menschen Platz bietenden „Grande Seine“-Halle, die aufgrund ihrer Größe naturgemäß eher für Popkonzerte und Musical-Gastspiele genutzt wird, und dem in erster Linie für klassische Musik gedachten Auditorium, einer eingedepschten Glaskugel mit einem großen Sonnensegel, die durch ihre Nestform bereits zum eigentlichen Wahrzeichen der Gegend geworden ist.

Lob für Wiens künftigen Musikdirektor

Auf Wunsch der Bauherren wurde die französische Dirigentin und künstlerische Leiterin des Auditoriums, Laurence Equilbey, damit beauftragt, für das neue Musikzentrum gleich auch ein neues Orchester zu gründen. Bestellt, getan. Equilbey, die in Wien studiert und sowohl bei Harnoncourt als auch bei Abbado assistiert hat, ging mit Feuereifer an die Sache heran und schuf mit Insula einen auf historischen Instrumenten spielenden, aber auf klassisches und präromantisches Repertoire spezialisierten Klangkörper.

Die Produktion von Beethovens Schauspielmusik „Egmont“, mit dem Insula soeben die Pariser Konzertsaison eröffnet hat, wird demnächst im Theater an der Wien gastieren. Die junge französische Regisseuse Séverine Chavrier band die musikalischen Nummern in eine quasi halbszenische Aktion, die auf den zugereisten Musikfreund eher wie das halbgare Produkt einer Schauspielschulklassen-Selbsthilfegruppe wirkte. Aber man wird sehen, wie das Wiener Publikum darauf reagiert . . .

Zeitgleich mit dem „Egmont“-Debüt an der Seine gab es an der Pariser Oper zwei Wiederaufnahmen zu sehen: „Pelléas et Melisande“ (in der längst mythischen Regie von Robert Wilson) und „Così fan tutte“ (in der umstrittenen Regie der Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker). Beide Produktionen dirigierte Philippe Jordan, von der Pariser Presse wieder über den grünen Klee gelobt: Eine „lyrische, transparente und wortsensible“ Interpretation wurde ihm für Debussy beschieden, ein „elegantes und raffiniertes“ Dirigat für Mozart.

Im selben Atemzug wurde dem Bedauern Ausdruck verliehen, dass man ab 2020 nicht mehr weiter in diesen Genuss kommen würde, da Jordan ja dann als Musikdirektor an Bogdan Roščićs Staatsoper wechseln wird.

Des einen Leid, des anderen Freud . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2017)

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