Fabio Luisi: "Ich bin desavouiert"

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"Meine Kündigung gilt ab sofort." Der Dirigent erklärt, warum er sein Amt in Dresden vorzeitig niedergelegt hat und nun wieder mehr Zeit für Wien hat. "Ich sollte das schlucken, wie man so schön sagt."

Was mich am meisten überrascht, dass meine Entscheidung in Dresden angeblich mit Überraschung aufgenommen wurde“, sagt Fabio Luisi im Gespräch über das vorzeitige Ende seiner Amtszeit als Generalmusikdirektor und Leiter der Semperoper in Dresden. „Es stimmt nicht, dass das überraschend kam“, erläutert er weiter und verweist auf eine kontinuierliche Entwicklung hin, die bereits im Herbst 2009 begann.

„Die Staatskapelle und ich haben noch Ende Oktober ein Konzert anlässlich der Verleihung des Echo-Klassikpreises musiziert, zwei Wochen später hörte ich per Zufall von mehreren Meetings zwischen der designierten Intendantin Ulrike Heßler, den Managern des Orchesters und der Geschäftsführung der Sächsischen Staatsoper wegen einer eventuellen Möglichkeit der Mitwirkung der Staatskapelle bei den Silvesterkonzerten des ZDF.“

Silvesterkonzert als Stein des Anstoßes

Dieses Engagement war von der Produktionsfirma ins Gespräch gebracht worden, nachdem die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen dem ZDF und den Berliner Philharmonikern – aus der unter anderem zahlreiche Musikvideos unter Herbert von Karajans Leitung entstanden – in die Brüche gegangen war. Seit Silvester 2009 überträgt ja die ARD das Berliner Konzert. ZDF konterte mit Wiederausstrahlungen von Karajan-Filmen, will aber ab 2010 ein eigenes Konzert senden. Die Staatskapelle Dresden als das traditionsreichste „Konkurrenzorchester“ der Berliner kam dabei in die engste Wahl. Was Luisi nun empfindlich stört, ist weniger die Tatsache, dass man von Produzentenseite offenbar sogleich daran gedacht hat, das Dresdener Silvesterkonzert nicht mit dem amtierenden Chefdirigenten, sondern mit dessen designiertem Nachfolger, Christian Thielemann, abzuhalten. Vielmehr erregte ihn, dass man ihn als amtierenden Generalmusikdirektor überhaupt nicht in die Gespräche eingebunden hat.

Zur Dresdner Kulturpolitik: „Pure Lüge.“

„Natürlich“, sagt Luisi, „ist das eine tolle Sache für die Staatskapelle – der Haken an dem Projekt ist: Zu dem Zeitpunkt, nämlich Silvester 2010, bin ich immer noch Generalmusikdirektor. Abgesehen davon, dass das der Anstand gebieten würde, muss man auch laut Vertrag mit mir über solche Projekte sprechen. Ich trage die Verantwortung für die Tätigkeiten des Orchesters.“

Als Luisi auf den entsprechenden Passus im Vertrag verwies, beschied man ihm in Dresden, die Angelegenheit sei entschieden: „Ich sollte das schlucken, wie man so schön sagt.“ Solche Dinge schluckt Luisi aber nicht, denn: „Ich bin ja desavouiert durch diese Geschichte.“ Das war der Grund, warum er nach Konsultation der zuständigen Ministerin sein Amt vorzeitig zur Verfügung stellte: „Ich habe gesetzeskonforme Firsten gesetzt.“ Die ließ die Dresdner Kulturpolitik ungenützt verstreichen. „Dass danach alle überrascht taten, war die pure Lüge“, kommentiert der Dirigent, „man kann doch nicht sagen: Er darf zwar dirigieren, hat aber nichts mehr zu entscheiden. Meine Kündigung gilt daher ab sofort.“

Wien: Thielemann und Prêtre springen ein

Während für die Tourneekonzerte der Staatskapelle Dresden rasch Ersatzdirigenten gefunden waren – die Gastspielauftritte im Wiener Musikverein leiten nun Christian Thielemann und Georges Prêtre – drohen Projekte wie die Premiere der selten gespielten Franz-Schmidt-Oper „Notre Dame“, die Luisi im April in der Semperoper dirigieren sollte, nun unter die Räder zu kommen. Werke wie dieses zählen nicht zum Standardrepertoire reisender Maestri.

Der Stein kam offenbar schon ins Rollen, als Fabio Luisi im Vorjahr verkündete, seine Tätigkeit in Dresden nicht über den vorgesehenen Zeitpunkt hinaus verlängern zu wollen. Sein Vertrag sollte mit 2012 auslaufen. Ein Nachfolger war mit Christian Thielemann verhältnismäßig rasch gefunden, weil Thielemann seinen derzeitigen Posten als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker nach heftigen Querelen im vergangenen Sommer ebenfalls nicht länger als vorgesehen behalten wollte. Für ihn war der Wechsel nach Dresden mit Herbst 2012 daher kein Problem. Videoproduktionen mit ihm und der Staatskapelle gibt es im Übrigen laufend, vor Kurzem wurde die Aufführung von Beethovens „Missa solemnis“ zum Gedenken an die Bombennacht von 1945 live aus der Semperoper übertragen. Die Verträge für das Silvesterkonzert scheinen bereits paktiert. Thielemann war bereits Luisis Konkurrent bei der Wahl zum Dresdener Generalmusikdirektor und unterschrieb nach Luisis Kür den Vertrag in München.

In Wien, wo Thielemann und Prêtre die Konzerte der Dresdner dirigieren, hat Luisi nun mehr Zeit, sich um sein anderes Konzertorchester, die Wiener Symphoniker, zu kümmern, denen er noch bis 2014 vorsteht. Dass es auch hier hinter den Kulissen Diskussionen über diverse (auch finanzielle) Probleme gibt, stellt er gar nicht in Abrede, „aber“, sagt er, „ich bin zuversichtlich, dass man mit der Wiener Kulturpolitik vernünftig über notwendige Strukturreformen reden kann“.

Im Übrigen hat er nun auch Zeit, als „Einspringer“ wieder einmal an der Staatsoper zu gastieren. Für einen erkrankten Kollegen übernimmt er die Aufführungen von Verdis „Simon Boccanegra“ am 2., 5. und 7. März.

DER DIRIGENT

Fabio Luisi, geboren 1959 in Genua, ist seit 2005 Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Seit 2004 leitet er die Semperoper in Dresden, 2007 wurde er Generalmusikdirektor in Dresden. Ab der Spielzeit 2012/2013 soll Christian Thielemann beide Ämter übernehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2010)

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