Land der größten Musik auf kleinstem Raum

In Wien haben Instrumente kurze Wege: eine Bassgeige beim heurigen Ball der Wiener Philharmoniker.
In Wien haben Instrumente kurze Wege: eine Bassgeige beim heurigen Ball der Wiener Philharmoniker. (c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Musikleben. Ein paar Minuten zu Fuß – in die Staatsoper oder zur Singverein-Probe, in die weltberühmte Musikuni oder zum Geigenbauer: Keine Stadt der Welt macht uns dieses Musikleben auf ein paar Quadratmetern nach. Ein Rundgang.

Wo hat man das sonst in der weiten Welt? Legendäre Räume, in denen klassische Musik geübt, ausgeübt und gelehrt wird, liegen in Wien so dicht beieinander wie nirgendwo sonst.

LEGENDÄRE HÄUSER

Ein Goldener Saal, den dank Neujahrskonzert die ganze Welt kennt. Sechs Gehminuten sind es von dort zum Wiener Konzerthaus, sieben zur Staatsoper. Große Musik auf engstem Raum gilt im Haus am Ring ganz besonders – wenn hier Wagner erklingt, wird es im Orchestergraben schon ungemütlich eng.

Zu zwei international renommierten Musikuniversitäten ist es von hier ebenfalls nur ein Katzensprung. Durch die Kärntner Straße geht es in die Johannesgasse, zum ehemaligen Wiener Konservatorium (an dessen neuen Namen „Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien“ man sich auch nach elf Jahren noch gewöhnen muss). Direkt ans Konzerthaus angebaut ist die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in der Lothringer Straße.

Einen räumlich so konzentrierten Mikrokosmos der Weltklassemusik sucht man in anderen Metropolen vergeblich. Auf engstem Raum wandern innerhalb des Rings und an ihm entlang die Musiker und Instrumente hin und her. Auch das Theater an der Wien ist gleich erreicht, einzig zur Volksoper nimmt man doch eher die U- oder Straßenbahn. Mitten im Zentrum auch: Chöre wie der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde, einer der besten Konzertchöre der Welt. Und gleich ums Eck davon, im Hotel Imperial, kann man, wenn man Glück hat, mehrere Maestros zugleich ein- und ausgehen zu sehen – wie etwa Mitte Oktober Riccardo Muti, Daniel Barenboim und den ehemaligen Wiener Studenten Zubin Mehta.

INSTRUMENTENBAUER

„Dass hier alles in zehn Gehminuten erreichbar ist, ist etwas ganz Besonderes“, sagt auch Cai von Stietencron, einer der besten Geigenbauer der Stadt. Oft geht er direkt von der Arbeit zu Fuß ins Konzert. Nicht nur für Musiker nämlich ist die Wiener Innenstadt ein Zentrum, auch für jene, die sich um ihre Instrumente kümmern. Gleich beim Konzerthaus etwa führt Walter Neubauer die seit dem 19. Jahrhundert bestehende Tradition der Zach-&-Jirowsky-Schule fort. Im Atelier im Musikverein wirkt 2002 der Stuttgarter Wilfried Ramsaier-Gorbach, er hat von seinem Vorgänger Otmar Lang die Werkstatt im Gebäude des Musikvereins übernommen; ein Geschäft gab es dort schon, als Brahms in Wien Klavier und Horn spielte, komponierte und den Singverein leitete. 45 Instrumentenbauer gebe es heute, schätzt Stietencron – dreimal mehr als vor 20 Jahren, als er hierhergekommen sei. Damals war dem Süddeutschen die Heimatstadt Konstanz zu eng geworden, wo er wie schon sein Vater als Geigenbauer gearbeitet hatte. Gegen Berlin entschied er sich für Wien, Glück und vor allem Hartnäckigkeit verhalfen ihm zu Räumlichkeiten im Heiligenkreuzerhof – mit Blick auf einen der schönsten Innenhöfe von Wien.

DIE WIENER HOFMUSIKKAPELLE

Zehn Gehminuten weiter, über Stephansplatz, Graben, Michaelerplatz: die Hofburgkapelle, wo einst Habsburger die Messe besuchten, 1914 der ermordete Thronfolger Franz Ferdinand, 1916 Kaiser Franz Joseph aufgebahrt lagen. Hier ist die Keimzelle des Wiener Musiklebens zu Hause: die Hofmusikkapelle. Ihre Tradition reicht über ein halbes Jahrtausend zurück, zu Maximilian I., der als Erster Musiker fix am Hof anstellte. Gluck und Mozart waren hier noch Hofkomponisten. Und auch heute kommen hier – fast – alle zusammen, jeden Sonntagmorgen vom Herbst bis zum Sommerbeginn: Wiener Philharmoniker mit Sängerknaben, ehemalige Sängerknaben (in der Choralschola der Hofburgkapelle) mit Herren des Staatsopernchors. Welche Messe von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert oder Bruckner sie spielen, hängt auch davon ab, ob die Philharmoniker danach zum Abonnementkonzert eilen müssen: Dann spielen sie kürzer.

CHÖRE UND UNIS

Antonio Salieri war der letzte Hofkapellmeister in einer sich zum Bürgertum verlagernden Musikkultur – und um die Zeit des Wiener Kongresses herum der erste Leiter eines Chors der Gesellschaft der Musikfreunde. Daraus entstand der Wiener Singverein. Vor allem diesem Chor verdankt es sich, dass nicht nur Berufsmusiker im Herzen Wiens Großartiges produzieren. Wo sonst in einer Stadt erfährt man zufällig von mehreren Nachbarn oder Kollegen, dass sie in ihrer Freizeit in einem Chor singen – nicht irgendeinem, sondern einem, der mit den besten Orchestern und Dirigenten der Welt zusammenarbeitet!

Und noch einmal Antonio Salieri: 1817 startete unter seiner Leitung eine kleine Singschule, aus ihr ging viel später die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) hervor. Peter Alexander und Claudio Abbado, Gustav Mahler und Zubin Mehta, Heinrich Schiff und Kirill Petrenko haben hier studiert. Aber auch aus der Johannesgasse beim Stephansplatz, aus dem 2005 zur Privatuni gewordenen Wiener Konservatorium, kamen großartige Musiker, von Joe Zawinul bis Julian Rachlin – und tun es immer noch. Heute versammeln sich in Wien Studierende aus aller Welt. Auch Geigenbauer Cai von Stietencron hat die Internationalisierung des Wiener Musiklebens in den 20 Jahren seiner Arbeit hier erlebt; 70 Prozent seiner Kunden, schätzt er, kommen mittlerweile aus dem Ausland.

Einige wenige Straßen, voll mit klassischer Musik: Wer von außen kommt, sieht gleich, dass Wien ein Unikum ist. Eher neigen die Österreicher dazu, es zu vergessen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2018)

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