Theater an der Wien: Dieser Roland ist ein Rambo

Poetische Tristesse: Orlando (Countertenor Christophe Dumaux) an einer abgefuckten Busstation mit animierter Bierwerbung.
Poetische Tristesse: Orlando (Countertenor Christophe Dumaux) an einer abgefuckten Busstation mit animierter Bierwerbung. Theater an der Wien/Monika Ritterhaus
  • Drucken

Claus Guth erzählt Händels „Orlando“ mit Countertenor Christophe Dumaux als Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der aus Liebesnot wieder zur Kampfmaschine wird. Die eigentlichen Stars sitzen hier im Graben.

Abreisen seien immer überstürzt, befand einst die Tante Jolesch. Sie hat Händels „Orlando“ nicht gekannt – und schon gar nicht in Claus Guths Inszenierung. Da zwängt der schwarz gekleidete Vamp Angelica den Trolley erst mühselig durchs Fenster ins Auto, um ihn Stunden später auf demselben Weg herauszuzerren. Vom Fleck gekommen ist sie dazwischen nicht: Der Wagen hat eine Panne. Ihr neuer Lover, Medoro, legt vergeblich Hand an. Aber sein dabei zur Schau gestellter Hintern in Jeans gefällt auch Dorinda. Ihr hat Medoro zuvor Avancen gemacht – und sie weiß noch nicht, dass männliche Schönheit, siehe wieder Tante Jolesch, weit überbewertet wird.

Luxus kann sie sich ohnehin nicht leisten, als Betreiberin eines Imbisswagens, der vor einem Mittelklasse-Appartementplattenbau abgestellt ist: Ausstatter Christian Schmidt verortet die Geschichte in der Gegenwart, irgendwo in Hispanoamerika, wo die besser Situierten aus dem Norden vielleicht Urlaub unter Palmen machen wollen – oder sich vor ihrem Job hingeflüchtet haben, um zwischen Playstation, Bierdosen und Pizzakartons zu verwahrlosen. Womit wir beim Titelhelden Orlando wären, der Angelica liebt und wegen ihrer verschwundenen Gegenliebe den Verstand verliert, wie es in der weitschweifigen Librettovorlage steht, dem „Rasenden Roland“ des Ludovico Ariost (1516) . . .

Ein emotional überforderter Exsoldat

Guth erfindet sein persönliches Inszenierungsrad keineswegs neu, wenn er nun wieder einen der Superhelden der Barockoper beleuchtet, sondern bleibt seinem etablierten Stil treu. Wie sein Monteverdi'scher Ulisse entpuppt sich also auch sein Orlando als kriegstraumatisierter, beziehungstechnisch herausgeforderter Exsoldat, in dem angesichts von Angelicas Abwendung die Kampfmaschine wieder erwacht. Gruselig Christophe Dumaux' stierer Blick, mit dem das Publikum am neuralgischen Punkt mitten im zweiten Akt in die Pause des etwa 200 Minuten dauernden Abends entlassen wird.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.