Innsbrucker Festwochen: Ein begnadeter Melodiker

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Der neue künstlerische Leiter, Alessandro De Marchi, entschied sich aus Anlass von Pergolesis 300.Geburtstag für dessen Opera „L'Olimpiade“. Mit ihr feiert er seinen Einstand als Nachfolger von René Jacobs.

„Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen“, hatte einst Grillparzer im Gedenken an Schubert formuliert – zu einer Zeit, da dieser durch kaum mehr als Lieder bekannt war. Doch auch auf Giovanni Battista Pergolesi scheint der Satz in doppeltem Sinne zuzutreffen: 1736 mit nur 26 Jahren verstorben, hat der bald als „angelico maestro“ schwärmerisch verehrte Musiker weit mehr Außerordentliches hinterlassen als bloß die „Serva padrona“ und das Stabat Mater. Bei den Innsbrucker Festwochen entschied sich nun der neue künstlerische Leiter, Alessandro De Marchi, aus Anlass von Pergolesis 300.Geburtstag für dessen Opera seria „L'Olimpiade“ – und hat damit, zumal in Verbindung mit einer eindrucksvoll homogenen, auf hohem Niveau agierenden Sängerschar, zum Einstand einen Glücksgriff getan.

Mehrerlei war da zu lernen. Etwa, dass auch ganz regelgerecht gebaute Da-capo-Arien durch einen begnadeten Melodiker zu schwebend-atmenden Gebilden jenseits formaler Starre werden können. Die Partitur ist nämlich von großem innerem Reichtum, stützt sich dabei jedoch, trotz großer Besetzung mit Hörnern, Trompeten und Pauken, weniger auf energiegeladenen Prunk als auf die Darstellung vielfach zarter, intimer Regungen, die ihren Ausdruck auch in oft überraschenden harmonischen Anschlüssen und Ausweichungen finden. De Marchi und seine Academia Montis Regalis erweisen sich dafür als einfühlsame Anwälte, die auf schroffe Effekte weitgehend verzichten und in sanftem musikalischem Fluss dennoch eine breite Palette expressiver Valeurs auffächern: Faszinierend etwa die allegorische Schilderung der Ruhe vor dem Sturm auf dem Meer mit gedämpften, fahlen Streichern im Graben und dem unwirklich tönenden Echo des Bühnenorchesters in Megacles Arie „Torbido in volto e nero“. Wenn es so etwas wie eine Virtuosität der Empfindsamkeit geben mag, dann war sie hier zu erleben.

Noble und zurückhaltende Regie

Als Atout erwies sich sogar die vermeintlich bloß philologisch motivierte Entscheidung, wegen der als Livemitschnitt geplanten CD-Veröffentlichung auch alle Secco-Rezitative strichlos aufzuführen: So wurde nicht nur der übliche Eindruck zurechtgerückt, eine Barockoper stelle eine Arienkette mit kleinen Rezitativ-Scharnieren dar – zumindest nicht bei einer so komplexen Handlung, wie sie Metastasio hier rund um die Olympischen Spiele, um familiäre und freundschaftliche, erotische und platonische Liebe in beinah allen Geschlechterkombinationen ersonnen hat. Stattdessen schien der mit zwei Pausen schließlich fünf Stunden währende Abend nicht etwa unangenehm in die Länge gezogen durch diese dort und da zehn Minuten währenden Dialogstellen, weil diese sängerisch prägnant und klanglich in differenzierter Üppigkeit dargeboten wurden, sondern als kontinuierliches, kraftvolles Musikdrama.

Auf die Kraft der Klänge verlässt sich auch Alexander Schulin in seiner von Noblesse und Zurückhaltung geprägten Regie, die im Verein mit Alfred Peters Ausstattung (fast) allem Plakativen entsagt: Die großen Gesten bleiben der Musik überlassen. Ein antiker Raum aus Sicht des Barocktheaters als Fassade gibt auf der Drehbühne immer mehr Einblick in sein verwinkeltes Dahinter aus Treppen, Galerien und Stützkonstruktionen, das die Personenführung für zahlreiche Gänge nützt; die Protagonisten schälen sich analog dazu langsam aus historischen Kostümen und Perücken heraus, die Masken fallen. Kein stückspezifischer, aber ein passender Rahmen, in dem vor allem vokal über allerlei Koloraturgewandtheit hinaus auch subtilen Seelenregungen nachgespürt wurde: von Olga Pasichnyk mit teils dunklen Sopran- und Jennifer Rivera mit helleren Mezzosoprantönen in den Hosenrollen Megacle und Licida, von Ann-Beth Solvang, die eine stimmlich herrlich füllige und doch agile Argene gab, von Markus Brutscher (Tenor) als edlem Aminta, Martin Oro, Raffaella Milanesi und Jeffrey Francis. Großer Jubel zu später Stunde – nebst Geburtstagsständchen für den Dirigenten.

Noch am 12.August. Karten: 01/88088.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2010)

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