Natalie Dessay erzählt, wie sie Grenzen sprengt

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Die Koloratur-Primadonna, die am kommenden Sonntag in Wien als "Traviata" debütiert, über ihre wachsende Unlust an der Oper und die Leidenschaft für szenische Gestaltung - wenn es sein muss, im Sprechtheater.

Ich hätte ja nie gedacht, dass ich diese Partie je singen würde“, sagt Natalie Dessay und korrigiert sich gleich: „Dass ich sie singen darf! Dürfen ist das richtige Wort.“ Am Sonntag ist sie die Violetta in der Neuinszenierung von Verdis „Traviata“ an der Wiener Staatsoper.

Die Produktion wird, wie berichtet, von den Festspielen in Aix en Provence übernommen, wo im Sommer das viel beachtete Debüt der Sopranistin in der Titelpartie stattgefunden hat. „Natürlich“, sagt die Dessay, „ist in Wien die viel bessere Akustik. Und das unglaublich gute Orchester. Das sind natürlich herrliche Bedingungen.“

Die Violetta zu singen, bewertet sie für sich dennoch als waghalsig: „Eigentlich gehe ich damit über meine Grenzen hinaus“, bekennt sie, „und ich weiß das natürlich ganz genau.“ Als unkontrolliertes Bühnenwesen ist sie nicht bekannt. Im Gegenteil. Natalie Dessay hat sich seit ihrem triumphalen Durchbruch anlässlich der Wiener Premiere von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, 1993, jeden Schritt genau überlegt.

Applausorkane für Spitzentöne

Damals war sie die Olympia – mit unglaublichen Spitzentönen, die Abend für Abend für Applausorkane sorgten. Ab dann war das Koloraturphänomen Dessay ein internationaler Begriff – und eroberte sich sämtliche wichtigen Opernhäuser und die passenden Rollen; bis hin zu Donizettis „Lucia di Lammermoor“. Was diese Partie betrifft, philosophiert die Künstlerin weiter: „Ich hätte ja am Anfang in Wahrheit auch nie geglaubt, dass ich je die Lucia singen würde. Aber als ich dann als Lucia auf der Bühne stand, habe ich mir irgendwann einmal gedacht: Vielleicht kommt doch einst die Traviata...“

Wenn sie sich selbst taxieren müsste, dann ist Donizettis Heldin die wahre Heimat ihrer Stimme: „Da bin ich, glaube ich, wirklich zu Hause. Die Violetta ist bestimmt ein bisschen über der Grenze für meine Stimme. Aber ich freue mich, diese Figur hier in Wien auf die Bühne bringen zu können, weil es, sagen wir, eine echte Frauenrolle ist, eine Rolle mit vielen Farben, Facetten: Sie ist eine Prostituierte, aber sie hat trotzdem eine reine Seele. Sie weiß, dass sie diesen Mann nicht lieben sollte, aber trotzdem liebt sie ihn. Sie will mit ihm leben, aber trotzdem leistet sie Verzicht. Es sind so viele Komplikationen – und das macht die Aufgabe so lebensecht.“

Und suggeriert, das Wagnis zu unternehmen. „Viele Momente der Violetta liegen sehr tief für meine Stimme. Es ist, das ist mir völlig klar, alles andere als eine Koloraturpartie. Der Schluss des ersten Aktes, gewiss, da sind Koloraturen und Höhe gefragt – aber das ist natürlich Verdis Genie, das ein bewegendes Charakterporträt zeichnet: Jeder Ton hat seinen Sinn.“

Natalie Dessay wird auch das berüchtigte hohe Es am Ende der Cabaletta singen, „obwohl es, wir wissen das, nicht in den Noten steht. Aber ich denke die ganze Musik ist danach, dass dieser Ton gesungen werden darf. Er passt musikalisch, aber auch gefühlsmäßig einfach perfekt dazu. Die Musik beschreibt das Dilemma, in dem sich diese Frau befindet. Abgesehen davon, dass die Zuhörer wohl sehr enttäuscht sein würden, wenn ein hoher Sopran auf diesen Spitzenton verzichtet . . .“ Ein hoher Sopran ist die Dessay über die Jahre ihrer Karriere hin geblieben. Während Kolleginnen im Lauf der Entwicklung an Höhe einbüßen, hat ihr Sopran keinen Schaden genommen.

„Vielleicht engagiert mich jemand?“

„Dafür fehlt mir vieles, was ich gern hätte, um interessante Rollen zu gestalten. Ich hätte gern einmal eine Tosca gesungen, Salome oder sogar Brünnhilde. Aber ich bin begrenzt mit meiner blöden Stimme, die zu hoch ist und zu klein. Ich kann nicht einmal die Susanna im ,Figaro‘ singen, geschweige denn die Gräfin. Oder die Elettra in ,Idomeneo‘. Da bliebe mir nur die fade Ilia...“

Natalie Dessay kann beinah in Rage geraten, wenn sie darüber nachgrübelt, welche Gestaltungsmöglichkeiten ihr verwehrt bleiben. So ergänzt sie denn auch: „Ich hatte ja in Wahrheit nie eine Leidenschaft für die Oper – meine erste Oper, da war ich 15, war der ,Tristan‘ und ich habe das scheußlich gefunden –, sondern ich habe eine Leidenschaft für das Schauspiel. Ich möchte Theater spielen; bin daran mehr interessiert als viele meiner Sängerkollegen. Eigentlich würde ich demnächst gern aufhören zu singen und wirklich zum Sprechtheater gehen. Vielleicht liest das ja ein Direktor und engagiert mich?“

Jetzt lockt aber vorerst doch noch die „Traviata“, später, sagt Natalie Dessay, „vielleicht einmal alle großen Frauenpartien in ,Hoffmanns Erzählungen‘, vielleicht dann auch noch Bellinis ,Puritani‘ – das ist zwar langweilig zu spielen, aber sehr schöne Musik. Aber dann?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2011)

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