Volksoper: "Salome" entblättert sich zur Unzeit

Volksoper Salome entblaettert sich
Volksoper Salome entblaettert sich(c) APA
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Auch nach historischen Belehrungen und 100 Minuten einer bemühten, höchst dezenten Übung rund um ein einst provokantes Stück der Moderne wird nicht klar, warum man Richard Strauss am Gürtel spielen muss.

Natürlich geht der Abend irgendwie vorbei. Und irgendwie mit der Musik von Richard Strauss. Aber warum das sein muss, dass die Volksoper „Salome“ ins Repertoire nimmt, das hat anlässlich der Premiere am Samstagabend wahrscheinlich niemand begriffen.

Gut, Strauss selbst hat „Salome“ einst in diesem Haus dirigiert. Aber das war noch zu Kaisers Zeiten und auch nur deshalb, weil die Zensur nicht erlaubt hat, dass ein Prophet im Hofoperntheater enthauptet wird, und vor allem, dass der Kopf dann auch noch von der Titelheldin auf offener Szene geküsst wird. Noch dazu, wo dieselbe Frau eine halbe Stunde zuvor auch noch einen Striptease hingelegt hat. War alles nicht zu machen, anno 1905, an der Wiener Ringstraße.

Heute ist vieles anders. Und außer dem allem sind Regisseure und sogar Regisseusen so gschamig worden, dass – ganz ohne Zensur – mit Ausziehen auf der Bühne sowieso nicht mehr zu rechnen ist. Jedenfalls nicht dort, wo Dichter Wilde und Komponist Strauss das vorgesehen hätten.

Zur Sicherheit, damit die Vorwürfe von allfälligen mit Feldstechern bewehrten zahlenden Besuchern nicht allzu heftig ausfallen, lässt Marguerite Borie gleich auch noch viele andere Dinge weg, die besungen werden, mit Wein gefüllte Pokale, Ringe, Früchte etc. Es wird also grundsätzlich nicht so ernst genommen, was im Libretto steht.

Jochanaan bringt Farbe ins Spiel

Ein – zum Teil wirklich fantasievoll ausgeleuchtete – keusch-graues Bühnenbild von Laurent Castaingt muss genügen, hinten ein schmales Treppenhaus anstelle eines Palastes, in der Mitte ein riesiger weiß glühender Kreis, aus dem dann der gefangene Johannes der Täufer heraufsteigt – und Farbe ins Geschehen bringt, denn er trägt Tunika und Toga in Rot.

Die Toga verliert er dann an Salome. Die begehrt den spröd allen irdischen Freuden entsagenden Mann bekanntlich. Und nachdem er sich von ihr nicht hat herzen und küssen lassen, verwendet sie zunächst das Kleidungsstück als Fetisch – in der Hitze des Gefechts um selbiges wird es zwischenzeitlich zum Galgenstrick für den armen Hauptmann aus Syrien.

Der einheitsstiftenden Regieeinfälle nicht genug, erhält Salome dann des Propheten Kopf, ebenfalls züchtig in rotes Tuch gewickelt. Die einzigen Schleier, die bis zu diesem Zeitpunkt im Übrigen fallen, sind zwei Vorhänge, die nach und nach den Blick auf das ganze Szenario freigeben. Gespielt wird das Stück nicht wirklich, eher oratorisch erzählt. Nur Salome selbst, die zierlich-agile Annemarie Kremer, bringt Bewegung in die Sache. Freilich ein wenig am Stück vorbei, wird in ihren Szenen fleißig gegrapscht, befühlt und betapst.

Bäumchen wechsle dich

Dass es bei der Auseinandersetzung mit Jochanaan in Wahrheit darum geht, dass die beiden einander eben nicht berühren, dass Herodes eben vor Sehnsucht vergeht, Körperkontakt mit diesem Kindweib bekommen zu dürfen – das umgeht man an der Volksoper in hübschem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel geflissentlich. Und nimmt „Salome“ damit den ganzen pervers-süchtigen Zauber, der sich ja aus Verweigerungen speist: Salome begehrt Jochanaan, Page begehrt Hauptmann, Herodias begehrt Herodes – und alle begehren Salome. Diese Melange aus sexuellen Begierden sollte so brennend heiß serviert werden wie der Wüstensand der Sahara, der in einer ganz anderen „Salome“ besungen wird.

In der Volksoper freilich hat, in ganz und gar nicht erotisch aufgeladener Stimmung, der „Tanz der sieben Schleier“ keine Funktion mehr – diese Ersatzhandlung, die dem Auftraggeber so viel wert ist, dass er sein halbes Königreich dafür verpfändet und schließlich seine Seele – in Form des Propheten-Kopfes – dafür verkauft.

Im aktuellen Fall schwingt Frau Kremer ein wenig das Bein, wird von den versammelten eifrigen Vertretern verschiedener Glaubensgemeinschaften umschwärmt und gestreichelt und – nein, legt nicht ab, sondern hüllt sich zum Abschluss in den königlichen Mantel ein...

So verkehrt, wie die Welt in diesem Moment scheint, wirkt die ganze Unternehmung. Mag sein, dass man in Zeiten, da Kapazitäten wie Alexander Zemlinsky hier dirigiert haben, imstande war, das Stück trotz reduzierter Orchesterbesetzung ganz und gar erlebbar zu machen.

Doch hundert Jahre danach bleibt nur noch die Reduktion. Von den sinnlichen Farben der Partitur dringt so wenig ans Ohr des Zuhörers wie von den meisten Singstimmen. Das Orchester sitzt tief unten im Graben; und doch hört man in kräftigeren Passagen (es gibt deren berüchtigterweise einige in diesem Werk) außer von der rüden Herodias Irmgard Vilsmaiers und dem wirklich imposanten Joachanaan des Sebastian Holecek von wenigen Sängern mehr als Einzeltöne. Kann sein, Annemarie Kremer vermag ihre oft leuchtenden Spitzentöne zu längeren Phrasen zu binden. Es ist nicht wirklich auszumachen.

Und doch ein Striptease!

Sicher ist Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, der Mime in Philippe Jordans Pariser „Ring“, ein auf Wortdeutlichkeit und prägnantes Spiel konzentrierter Darsteller.

Gewiss ist es erfreulich, dass mit Martina Mikelič ein beachtlich dunkel timbrierter Page (und Sklave) zur Verfügung steht und mit Jörg Schneider ein exzellent singender und artikulierender Narraboth. Aber die beiden tragen nur die erste Szene – und dann wird es musikalisch trotz Roland Böers sicherer Führung recht nebulös an diesem Abend.

Ach ja, der Striptease erfolgt ja schließlich doch; am Ende verschwindet die enthüllte Titelheldin im weißen Lichtkegel – und man denkt: Was wäre das für ein Cover für eine „Salome“-CD – mit der Musik von Robert Stolz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2011)

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