Staatsoper: Thielemanns „Walküren“-Ereignis

(c) Staatsoper/Michael Pöhn
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Zweiter Teil des singulären Wiener „Ring“-Zyklus von Christian Thielemann – zehnfach überbucht aus gutem Grund: Philharmoniker sorgen beim aufregendsten Staatsopern-Abenteuer der Saison für Wagner-Sternstunden.

Zwischenbericht vom aufregendsten Staatsopern-Abenteuer der Saison: Christian Thielemann dirigiert den „Ring des Nibelungen“. Der Ausnahme-Rang dieses Unternehmens stand bereits im Vorfeld fest. Vor der Aufführung der „Walküre“ lautet die Aufschrift auf den Schildern der verzweifelten Kartensuchenden denn auch bereits: „Preis egal“.
Der Wiener „Ring“-Durchlauf ist fast zehnfach überbucht, nicht zuletzt deshalb, weil ruchbar wurde, dass bis zur geplanten nächsten Thielemann-Tetralogie (in der Dresdner Semper-Oper) ein halbes Jahrzehnt vergehen wird . . .

Der Wiener „Ring“ findet daher in einem Wald von Mikrofonen statt, er wird zwecks Tonaufnahme mitgeschnitten. Weil man bei einem einzigen Durchlauf aber wenig Korrekturmöglichkeiten hat, wird hernach gewiss lange über Freigaberechte diskutiert werden. Ob wir das Ereignis demnächst via CD nachhören können, steht also noch in den Sternen.

Kleine Schnitzer passieren freilich tatsächlich auch bei der besten Opernaufführung der Welt; auch – oder gerade – dann, wenn Dirigent, Sänger und das Orchester eines Sinnes mit 110-prozentiger Konzentration agieren.
Die minimalen Irritationen, die eventuell über die CD-Tauglichkeit entscheiden können, fallen beim Live-Erlebnis allerdings gar nicht ins Gewicht. Denn hier geht es um die Spontaneität, die Thielemann und die Musiker miteinander erreichen, wenn sie gleich mit dem ersten Takt der Aufführung sozusagen auf dem Gipfel beginnen, um von dort aus einen Höhenflug anzutreten – notwendigerweise bei vollem Risiko.

Detailverliebtes Orchesterklang-Theater

Das Staatsopernorchester kennt den „Ring“ wie seine Westentaschen. Thielemann kennt den „Ring“ wie seine Westentasche – und da beide Teile dazu aufgelegt scheinen, die aus der Kompetenz-Kumulierung resultierenden Möglichkeiten auszukosten, wütet der Sturm am Beginn der „Walküre“ stürmischer denn je, tönt Franz Bartolomeys Cellosolo so süß und verzehrend schön, wie die Sünde der verbotenen Liebe des Wälsungen-Paars nur tönen kann, setzen die Posaunen das Walhall-Motiv als sonoren Pianissimo-Choral wie eine Vision in den Raum, um quasi im selben Atemzug die grimmigsten Attacken zu reiten, die in einem germanischen Sippenkampf nur geritten werden können. Was an Detailarbeit, an Lust zur solistischen Einflüsterung zur dramaturgischen Sache – von der beredten Oboen-Phrase bis zur messerscharf artikulierten Basstrompeten-Fanfare – zu hören ist, kann nur als virtuoser orchestraler Trapezakt gewertet werden. Dies wird von Thielemann aber eingebunden in einen symphonischen Erzählfluss, der über die bis zu 90-minütigen Riesenbögen Wagner'scher Dramen-Aufzüge gespannt wird.

Die Spannung reißt in keinem Moment ab. Und die Sänger können, wenn sie können, ins gigantische Mosaik der Einzelstimmen ihre Steinchen und Edelsteinchen setzen. Waltraud Meier absolviert als Sieglinde hie und da sogar – vor allem in ihrer Albtraum-Vision kurz vor Schluss des zweiten Aufzugs – kurze Lehrstunden zum Thema: Oper hat auch etwas mit der einzelnen Darstellerleistung zu tun. Das vergisst man an einem solchen Abend leicht, denn dessen Vollkommenheit bleibt eine rein musikalische. Dass zudem unter Sven-Eric Bechtolfs Regie – und zum Teil auch (etwa in den Interaktionen zwischen Brünnhilde und Siegmund während der „Todesverkündigung“) gegen dieselbe – ein wenig Theater gespielt wird, das gilt dem Publikum als willkommene Zuwaage. Zumal Christopher Ventris überdies eine frische, blühende Tenorstimme hören lässt, ein Siegmund auf dem Höhepunkt seiner vokalen Strahlkraft, und Eric Halvfarson diesem jugendlich-agilen Siegmund als Finsterling von gefährlich dröhnender Bösartigkeit Paroli bietet.

Wotans kluge Erzählungen

Der Wotan Albert Dohmens wird von seiner rechtschaffen keppelnden Fricka, Janina Baechle, mühelos in die Knie gezwungen. Ein wenig blass in den großen Ausbrüchen, hat er seine starken Momente in der zentralen Erzählung im Mittelakt, die er dank kluger Diktion spannungsreich bewältigt. Manche große Leistung diesmal also auch auf der Szene, wo das Walküren-Oktett gottlob seit der Premiere der aktuellen Inszenierung nicht mehr kreischt.
Katarina Dalayman, als Oberschwester Brünnhilde die neunte im Bunde, serviert die notorischen Extremtöne ihrer Partie dankenswert sicher. Für die große melodische Linie ist im Übrigen im Orchestergraben gesorgt. Und das reichlich – und entsprechend reichlich bedankt.

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