Der hysterische Gogol singt nur fade Tonleitern

(c) APA/ANDREAS PESSENLEHNER (ANDREAS PESSENLEHNER)
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Die Uraufführung von Lera Auerbachs Oper wurde zur luxuriösen Grablegung des Genres Oper: exzellente Regie, ein erstklassiger Dirigent, aber weit und breit nichts zu inszenieren oder zu dirigieren...

An Uraufführungen zeitgenössischer Opern herrscht, anders lautenden Gerüchten zum Trotz, kein wirklicher Mangel. Die meisten der allseits mit viel Budgetgeld finanzierten „Weltpremieren“ nähren im Zuschauer Zweifel an der Lebensfähigkeit der Gattung. Manche aber darf man sogar als trefflichen Beweis für die These werten, dass die Oper als Genre längst mausetot ist. Lera Auerbachs „Gogol“, als Auftragswerk im Theater an der Wien herausgebracht, gehört zu dieser Spezies. So sinnentleert scheinen die althergebrachten Musiktheater-Formen nicht einmal bei den Fließbandprodukten der Minimalisten.

Die Musik der russisch-amerikanischen Komponistin rechnet sich zur sogenannten Postmoderne. Der Anfang von „Gogol“ klingt denn auch, als hätte man Partituren von Rachmaninow und Schostakowitsch übereinandergekleistert. Danach wird es aber bald weniger vielschichtig. Orchester- und Gesangslinien reduzieren sich mehrheitlich auf langwieriges Psalmodieren in sechs- bis siebentönigen Skalen.

Variationen übers Lied der Wolgaschlepper

Die Chromatik hat abgedankt. Spätestens nach einer halben Stunde gibt es der Musikfreund auf, eines melodischen, harmonischen oder rhythmischen Einfalls zu harren: Wer sich darauf einstellt, zweieinhalb Stunden lang eine Art Variationenreihe über den behäbigen „Gesang der Wolgaschlepper“ zu hören, der wird am Beginn des dritten Akts immerhin durch neckische Tänzchen eines Tingeltangel-Zuschnitts überrascht: Sie illustrieren die hektische Reisetätigkeit des Dichters Gogol.

Womit sich die „Handlung“ auch schon erschöpft. Den Rest der Szenenfolge ersticken die Plattitüden des von der Komponistin selbst gezimmerten Librettos – assoziatives Geschwafel über Mütterchen Russland, religiöse und sexuelle Obsessionen und medizinische Grundsatzüberlegungen Marke: „Hysterie aufgrund von Hämorrhoiden“ – bar jeglicher dramaturgischen Stringenz.

Gogol? Angesichts des offenkundigen Mangels an sprachlicher Kunstfertigkeit würde der Zuschauer wohl auch mit Leben und Künstlerleid eines drittklassigen Provinzpoeten aus Sibirien vorliebnehmen. Das würde zum Text passen. Doch landet man nolens volens bei Shakespeare: Much Ado About Nothing.

Dabei wirbelt Regisseurin Christine Mielitz die Personen in einer heftig bewegten Revue durcheinander, lässt Tod, Teufel und Weihrauchkessel-Ministranten aus Versenkungen auftauchen, Akrobaten und Tänzerinnen durch die Lüfte schweben, verwandelt den auch musikalisch phänomenal studierten, endlos sinnlose Silben exekutierenden Arnold Schoenberg Chor dank kräfteraubender Daueranimation in den pulsierend-bewegten Teil des Bühnenbilds (der festgebaute Teil stammt von Johannes Leiacker).

Wie froh wäre man, würde um ein bedeutendes Werk – wie wäre es, apropos russische Seele, beispielsweise mit „Chowanschtschina“? – solcher Aufwand getrieben. Doch falscher Uraufführungsehrgeiz beschert uns einen „Gogol“, der nichts mit Gogol, aber auch nichts mit einer schlagkräftigen neuzeitlichen Variante eines Musikdramas zu tun hat. Die Sänger kämpfen da auf ebenso verlorenem Posten wie das ORF Radio-Symphonieorchester unter Wladimir Fedosejew, der das Beste aus der Musik zu machen versucht: Petitessen frisiert er auf, als wären sie hochexpressive Klanggesten, die so viel Aufwand reichlich lohnen.

Triumph der Kinderarbeit

Auch wird auf der Bühne entsprechend nachdrücklich vokalisiert, ob von den beiden Baritonen, die sich nach der Absage von Bo Skovhus die lange Titelpartie teilen (Martin Winkler und Otto Katzameier), den (zum Teil über Gebühr forcierenden) Damen Natalia Ushakova, Stella Grigorian und Tatiana Plotnikova oder der grellen Tenorkarikatur, zu der Ladislav Elgr die schier allgegenwärtige Figur des Todes macht. Bewundernswert inmitten: die Gedächtnisleistung des umjubelten Kinderstars der Produktion, Sebastian Schaffer, der den kleinen Nikolka gibt und zuletzt die tröstliche Kerze auslöscht.

Zweieinhalb Stunden zu spät: Ein Licht hätte den Produzenten aufgehen müssen, hätten sie rechtzeitig einen Blick ins Libretto geworfen. „Gogol“ hätte man angesichts von so viel plakativer Pseudopsychologie kurzerhand abbestellen müssen, statt in eine sündteure Produktion zu investieren. Wie heißt es so schön bei Hofmannsthal? „Auszahlen. Wegexpedieren!“

„Gogol“. Regie: Christine Mielitz, Dirigent: Wladimir Fedosejew. 18., 21., 24. und 26. November.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2011)

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