Autodafé im ganzen Opernhaus

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Archivbild.(c) APA (HARALD SCHNEIDER)
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Die Urfassung von Verdis französischem "Don Carlos" in Konwitschnys umstrittener Deutung muss man erleben. Trotz mancher stimmlicher Mängel.

So viele Türen, und doch kein einziger Ausweg: Alle sind sie Gefangene in diesem klinisch weißen, streng rechtwinkligen Gefängnis namens Escorial, dessen niedrige Durchlässe jeden zwingen, sich zu bücken – und zu buckeln: vor der weltlichen und erst recht vor der geistlichen Macht. Vorbei ist die räumliche und seelische Freiheit des einleitenden Fontainebleau-Akts, in dem die juvenil-unbeschwerte Liebe zwischen Elisabeth und Don Carlos ihr von der Politik gefordertes, brutales Ende finden musste.

Nur einer konnte alle Zwänge abschütteln, ein Aussteiger, der sich als Mönch ausgebende KarlV.: Wenn er nach so viel schmerzlichen Wirren der Politik und der Liebe zuletzt doch eine die ganze Bühnenhöhe umfassende, schmale Tür aufreißt und das Paar befreit, ist dies eine bewegend utopische Szene. Über die Zurückgebliebenen sinkt Nacht – und nicht nur der Großinquisitor ist gezwungen, weiter im Dunkeln zu tappen...

Gewiss muss nicht jeder alles mögen an Peter Konwitschnys Inszenierung – obwohl gerade die umstrittensten Szenen, die ironische Ballettpantomime und das als Medienspektakel unserer Tage im ganzen Opernhaus präsentierte Autodafé, eine willkommene Auflockerung des düsteren, insgesamt fast fünfstündigen Dramas bieten. Aber wem es in der Oper neben der zeitlos gültigen Musik um mehr geht als um Historismus oder eine diffusen Begriff von Schönheit, der wird Konwitschnys psychologisch präzise Arbeit nur schätzen können, die 2004 an der Staatsoper ihre Premiere erlebte.

Erstmals in der Aufführungsgeschichte ging damals die französische Urfassung von Verdis „Don Carlos“ ohne jeden Strich (also auch mit der Ballettmusik) über die Bühne. Das Ergebnis war keineswegs bloß philologisch interessant, sondern zeigte ein neues, in seiner Konsequenz bisher weitgehend unbekanntes, musikalisch bis ins Letzte ausgearbeitetes Musikdrama von einsamem Rang, neben dem die übliche italienische Fassung dramaturgisch grob und blockhaft erscheint.

Im Juni: „Don Carlo“ unter Welser-Möst

Dominique Meyer hatte ursprünglich nicht beabsichtigt, die Inszenierung aus der Holender-Ära wieder aufzunehmen, nun tut er es zum Glück doch: Connaisseure können also im Hinblick auf die im Juni folgende Premiere des italienischen „Don Carlo“ unter Franz Welser-Möst (Regie: Daniele Abbado) nochmals Vergleiche anstellen.

Außerdem hat Konwitschny persönlich für die szenische Neueinstudierung des Ensembles gesorgt, das tatsächlich bis auf den sympathisch-verschmitzten Mönch von Dan Paul Dumitrescu zur Gänze aus Rollendebütanten besteht: Da erinnert der schlanke, fesche Yonghoon Lee als Carlos nach nervösem Beginn mit seinem etwas trockenen Timbre stellenweise an den jungen Shicoff. Über dessen Reserven verfügt er freilich nicht, steht die Partie aber ohne Zaudern und sogar mit einigen feinen Kantilenen durch. Den Jähzorn hat er mit seinem Bühnenvater PhilippII. gemein: Kwangchul Youn stattet ihn mit kontrolliert geformten, sensiblen Klängen aus, bleibt als Persönlichkeit jedoch zu leichtgewichtig, während die etwas handfest wirkende Adrianne Pieczonka (Elisabeth) manch schöne Soprantöne, aber nicht die nötige Pianissimo-Noblesse hören lässt. Vokal rangiert sie dennoch deutlich über der präsenten, aber stimmlich stumpfen, ungelenken Béatrice Uria-Monzon als Eboli.

Ludovic Tézier, in Wien kürzlich als Bariton-Werther zu hören, sang den Posa dynamisch nicht rasend differenziert, sondern war ganz auf kernige Virilität bedacht, phrasierte aber namentlich seine Sterbearie prächtig: Der als Großinquisitor outrierende Alexandru Moisiuc könnte sich an ihm ein Beispiel nehmen. Abgesehen von der Maskenszene war der Chor gut und kraftvoll bei der Sache; am Pult des zumal mit schönen Soli erfreuenden Staatsopernorchesters gab Bertrand de Billy dem langen Abend die nötigen Impulse.

Noch am 28.April, 1. und 5.Mai

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2012)

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