Stoyanova: "Die Oper, das ist ein Gottesgeschenk!"

Stoyanova Oper Gottesgeschenk
Stoyanova Oper Gottesgeschenk(c) Michael Pöhn / Staatsoper
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Während der Proben zur Staatsopern-Premiere von "Don Carlo" erzählt Krassimira Stoyanova, wie sie aus Partituren von Verdi oder Richard Strauss die Eigenschaften starker Charaktere herausliest.

Es ist meine erste Elisabetta“, sagt sie und lächelt mit einer wunderbaren Mischung aus Skepsis und Verschmitztheit in Richtung Gesprächspartner: „Ich habe lange gewartet“, ergänzt sie dann, „ich denke, wir müssen unseren Körper und unsere Stimme gut kennen. Und wir dürfen nicht jedes Angebot annehmen, das vielversprechend klingt. Ganz im Gegenteil. Auf unsere zwei zarten Stimmbänder müssen wir Sänger aufpassen wie auf unsere Augen.“

Krassimira Stoyanova, Besitzerin einer der schönsten lyrisch-dramatischen Sopranstimmen unserer Zeit, hat Vertrauen in das Haus und in das Publikum der Wiener Staatsoper, wo man sie seit ihrem Debüt im Jahr 1998 wie ein Juwel behandelt. Als Publikumsliebling könnte sie wahrhaftig alle Partien ihres Fachs singen, wann und wo sie wollte. Allein, sie geht behutsam vor. Nicht nur, weil sie „auf ihre Stimmbänder“ aufpassen möchte, sondern auch, weil sie Ruhe braucht, um neue Rollen ganz in sich aufzunehmen.

Nach der Elisabetta in Verdis „Don Carlo“ – Premiere der italienischen, vieraktigen Version ist am 16. Juni – plant sie im Herbst noch ein weiteres Rollendebüt, ebenfalls in der Staatsoper: „Ariadne auf Naxos“, die erste Wiener Richard-Strauss-Erfahrung der Stoyanova und eine Herausforderung der besonderen Art, denn „Strauss“, so sagt sie, „arbeitet mit ganz speziellen harmonischen Bewegungen, die man genau analysieren muss“.

Das kann sie, denn sie hat nicht nur Gesang studiert, sondern auch Violine, nebstbei auch noch die Grundlagen der Komposition und des Kapellmeisterhandwerks. Also muss man sich Krassimira Stoyanova beim Studium einer neuen Gesangspartie nicht, wie manche Kollegin, mit Kopfhörern und CD-Player bewaffnet vorstellen, sondern wirklich mit der Partitur in der Hand. „Aufnahmen höre ich mir nie an“, sagt sie. Lieber treibt sie Charakterstudien bei Verdi oder Strauss – und versucht in historischer Lektüre den Unterschied herauszuarbeiten „zwischen Verdis Elisabetta und der Elisabeth von Valois“, auch zwischen Verdis Dramaturgie und der Schillers: „Verdi verstärkt natürlich immer die romantische Perspektive, was aber nicht heißt, dass seine Charaktere vor lauter Melodramatik schwache Figuren wären. Im Gegenteil. Ich glaube, dass in einer guten Oper jede Figur ein starker Charakter ist. Man muss nur herausfinden, wo das Geheimnis liegt.“

Faszinierende Regisseure. Dabei hilft natürlich die „Arbeit mit dem Dirigenten und dem Regisseur. Das klingt vielleicht banal“, sagt die Sängerin, „aber das muss ein funktionierendes Dreieck sein zwischen diesen beiden und dem Sänger. Wenn einer ausfällt, funktioniert Oper nicht!“

Natürlich, zur ersten Probe kommt man als verantwortungsbewusster Gestalter perfekt studiert. Aber nicht voreingenommen. „Gute Regisseure“, sagt Krassimira Stoyanova, „können sehr hilfreich sein, denn sie können Charakterzüge aufzeigen, die mir beim Studieren nicht aufgefallen sind. Sie können uns sogar auf den Gegenpol unserer Sichtweise führen. Das bereichert.“

Jedenfalls hat die Künstlerin noch keine schlechten Erfahrungen mit den notorischen Regieschwerenötern gemacht. Selbst als schwierig bekannte Zeitgenossen hat sie schätzen gelernt: „Hans Neuenfels zum Beispiel“ – die Stoyanova muss lachen. „Ich war in dem Berliner Idomeneo, der als Skandalinszenierung gilt, als Elettra engagiert, und ich muss sagen, ich war fasziniert. Ich muss von einem Regisseur immer erfahren, warum er etwas will.“

Das hat mit dem analytischen Geist zu tun, der nicht angesichts des Notentextes endet, sondern naturgemäß auch bei der szenischen Gestaltung auf „Durchdringung, auf Tiefe“ Wert legt, wie die Sängerin das selbst formuliert: „Im Dialog kristallisiert sich dann bei der Arbeit die Figur heraus.“ Das funktioniert wie bei der musikalischen Einstudierung: „Es hat keinen Sinn, irgendetwas, was einem jemand vormacht, zu wiederholen, zu kopieren. Ich muss die Partie in meinen Körper bekommen, mit meinem Hirn erfassen. Ich will sie in mir spüren.“

Um eine Elisabeth von Valois oder auch eine mythische Figur wie die Ariadne so in sich aufzunehmen, dazu bedarf es der Kenntnis aller Facetten einer Opernpartitur, auch der des Orchesterparts. Da kommt dieser Künstlerin zugute, dass sie ihr Musikerinnendasein als Geigerin begonnen hat. „Ich durfte im Orchester spielen und durfte in Musik von Brahms als Teil des Ganzen in diesem klingenden Kosmos aufgehen.“ Nur die Oper, nachdem ihre Stimme entdeckt war, entpuppte sich als „noch stärkeres Gift. Unentrinnbar. Oper, das ist ein Gottesgeschenk. Da können wir Schwingungen materialisieren, die wir sonst im besten Fall in uns nur ahnen können ...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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