Klangmuskelspiel mit den Wiener Philharmonikern

Klangmuskelspiel Wiener Philharmonikern
Klangmuskelspiel Wiener Philharmonikern(c) EPA (STEFAN COHEN / HO)
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Dirigent Michael Tilson Thomas erlag der Versuchung, die philharmonische Klangpracht über Gebühr auszukosten.

„Brahms, der Fortschrittliche“, wie er ihn pries, war eines der Vorbilder Arnold Schönbergs. Das philharmonische Abonnementkonzert setzte am Wochenende Musik des lang als konservativ geltenden Norddeutschen mit jener des längst zur klassischen Moderne zählenden Wiener Neutöners in Beziehung: Thematisch passend zum dieser Tage gefeierten 100-Jahr-Jubiläum des berüchtigten „Skandalkonzerts“ hätte das freilich auch eine schöne Gelegenheit geboten, Musik des 21. Jh.s zu präsentieren. Bloß auf ausgetretenen Programmpfaden wandelten die Wiener Philharmoniker dennoch nicht unter der Leitung von Michael Tilson Thomas, dem Chef von San Francisco Symphony.

Brahms' 2. Klavierkonzert war das einzige ständige Repertoirestück, und Yefim Bronfmans staunenswerte pianistische Sicherheit bot einen Vorzug per se. Zudem spielt er das Stück weicher abgetönt, weniger auf Brillanz und Härte getrimmt als noch vor einigen Jahren. So wurde das Andante im wechselnden Dialog mit einem makellos strömenden Cellosolo und wunderbar beseeltem Gesang der Klarinetten zum Höhepunkt der Aufführung – auch wenn Bronfman insgesamt auch dort auf strukturelle Klarheit und straffe Tempi größten Wert legte, wo ein Quäntchen mehr an melodischem Charme, beredtem Auskosten und Phrasierungseleganz willkommen gewesen wäre.

Blähung ins Monumentale rächt sich

Unter Michael Tilson Thomas durfte das Orchester zum Klangmuskelspiel antreten, geriet in den Tutti schnell und oft ein bisschen in zu wenig gegliedertes Lärmen, erfreute aber auch durch sonore Opulenz. Eben diese Opulenz war es, die nach der Pause so vieles von dem überflutete, was an Feinheiten in der Partitur steckte.

Denn dem g-Moll-Klavierquartett von Brahms tut Strenge not – besonders in Schönbergs Instrumentierung, diesem Mosaik aus hunderterlei ziselierten, oft winzigen klangfarblichen Teilen. Das Stück ist schwierig, für das Orchester wie für den Dirigenten. Christoph von Dohnányi hat einst vorgeführt, wie es gleichermaßen zu bändigen wie zu entfesseln ist. Neigt Schönbergs Ausdeutung ohnehin schon zur Überlebensgröße, rächt sich eine Blähung ins Monumentale immer. So auch diesmal, selbst wenn das „alla Zinarese“-Finale zündete. Verschleppt, durch aufgesetzte Rubati fragmentiert, klanglich viel zu dick aufgetragen und undurchhörbar – da waren eingangs die Variationen op. 43b, eine tonale Schönberg-Rarität, befriedigender. wawe

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2013)

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