Cecilia Bartoli: Sehnsucht nach dem Pathos

Cecilia Bartoli Sehnsucht nach
Cecilia Bartoli Sehnsucht nach(c) APA/HANS J�RG MICHEL (HANS J�RG MICHEL)
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Cecilia Bartoli als Norma während der französischen Résistance: eine vor allem szenisch intensive, mit Ovationen bedachte Leistung.

Jubel im „Haus für Mozart“: Nicht einmal Regieteam und Dirigent mussten als Sündenböcke herhalten – kurz, die Pfingstfestspiele, heuer unter dem vielfältig interpretierten Motto „Opfer“ stehend, kamen nach ihrer Opernpremiere ohne ein solches aus. Die Opposition schwieg.

Welches Werk der Belcanto-Ära wäre in einem Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr besser für eine Neuinterpretation geeignet als Bellinis „Norma“? „Wir müssen uns nicht schämen, eine Träne der Rührung zu vergießen, wenn wir sie hören“, betonte Wagner: „Bellini ist eine meiner Vorlieben, denn seine Musik ist stark gefühlt und eng mit den Worten verschlungen.“

Der Schöpfer der unendlichen Melodie traf sich da mit dem alten Verdi, der von Bellinis expressiven „melodie lunghe, lunghe, lunghe“ schwärmte. Dass diese auch in dem ursprünglich für sie vorgesehenen formalen Rahmen erblühen und zueinander ins rechte Verhältnis treten können, dafür sorgt nun eine kürzlich erstellte quellenkritische Neuedition, die auch Varianten einschließt und in Salzburg erstmals einer szenischen Produktion zugrunde liegt. Die Unterschiede sind nicht viele, aber deutlich – besonders im Terzett am Schluss des ersten Aktes, in dem noch dazu die Vorzüge und Probleme des Abends wie in einem Brennspiegel zusammenfasst erschienen: jene der Besetzung und des Orchesters.

In der hier präsentierten ersten Fassung hat Adalgisa nämlich zwei zusätzliche eigene Strophen zu singen und kann damit ihre Liebesnöte deutlicher vermitteln: Ihr Geliebter Pollione hat sich ja eben als geheimer, aber treuloser Partner Normas entpuppt. Musikalisch greift das alles ebenso logisch wie mitreißend ineinander und trägt somit enorm zur szenischen Spannung bei, während der Wegfall des Chors hinter der Bühne keinen Verlust bedeutet.

Enzyklopädische Anforderungen. Die junge Mexikanerin Rebeca Olvera bildet mit ihrem hellen, leichten Sopran das passend mädchenhaft anmutende, in den Duetten gut harmonierende Gegenstück zum wie immer mit typisch gurrend-verschatteter Tongebung eingesetzten Mezzosopran von Cecilia Bartoli.

Natürlich ist ihre Norma eine gestandene Frau, und natürlich singt und spielt sie sich, auch das ganz typisch, in jenen Furor hinein, den die Fans an ihr so lieben. Jede Norma-Darstellerin der Vergangenheit hat auf ganz eigene Weise den enzyklopädischen Anforderungen dieser berüchtigten Partie begegnen müssen. Bartoli reüssiert vor allem als vor Energie strotzende, zugleich höchst verletzliche Bühnenerscheinung. Mehr als ihre längst klangarm und fahl tönenden Koloraturketten beeindruckte ihre Legatofähigkeit, die schon bei „Casta Diva“ fein gesponnene, lange Phrasen ermöglichte. Ihre vokalen Kräfte sind allerdings überschaubar. „Was für ein Zorn!“, ruft Adalgisa aus, doch bei Bartoli wird zu weit aufgerissenen Augen nur Entsetzen und das Ringen um Contenance hörbar. Wärme, Fülle, Expansion fehlen – sowie eine Prise jenes verpönt scheinenden Pathos, das der Figur nicht schlecht anstünde.

Daneben kann John Osborn weder mit seinem agilen, hellen Tenor noch seiner braven Darstellung große erotische Anziehungskraft versprühen, aber den Pollione anständig singen – immerhin.


Unrein per definitionem.
Dem Pathos wollte wohl auch Giovanni Antonini am Pult zu Leibe rücken, der vor allem für formale Geschlossenheit, stilechte Verzierungen, hurtige, straffe Tempi und drastische Akzente sorgte. Was manche Originalklangensembles liefern, ist als reines Naturprodukt ja per definitionem unrein. Vor allem im ersten Akt war das Zürcher Orchestra La Scintilla von dem, was sein Name verheißt, weit entfernt. Da flogen weniger die Funken als vielmehr raue Späne, blieb die erzählerisch-expressive Qualität von Bellinis Melodik allzu oft auf der Strecke: durch unsauber holpernde Holzbläser, lärmendes Blech und Schlagzeug sowie vor allem völlig vibratolose Kantilenen – eigentlich ein verblüffender Widerspruch zum Gesang der Bartoli, die sich dennoch nur von der Alten Musik her an die Norma wagen konnte. Im zweiten Akt kam man einer vernünftigen Balance schon näher.

„Modern“ hingegen der Zugang des Regieduos Moshe Leiser und Patrice Caurier: Sie erzählen die Story von der Druidenpriesterin, die sich mit einem Offizier der römischen Besatzungsmacht eingelassen hat, auf unaufgeregt schlüssige Weise als Episode der französischen Résistance. Pollione ist ein deutscher Offizier in zivil, Norma eine führend im Widerstand tätige Lehrerin, der heilige Ort eine verlassene Schule (Bühne: Christian Fenouillat). Abseits der Bartoli wird die Personenführung etwas vage, aber das Beziehungsgeflecht, die Emotionen stimmen – auch wenn das Ende (nach Normas Selbstanklage werden sie und Pollione mitsamt der Schule abgefackelt) überaus brutal erscheint.

Trotz guter Leistungen im Einzelnen: Die Brüche und Widersprüche des Abends blieben bestehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2013)

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