Die "Sinfonie an sich" – leider mit matten Passagen

Sinfonie sich ndash leider
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Gustav Mahlers Achte mit Gustavo Dudamel an der Spitze musikalischer Heerscharen aus Venezuela und Europa: Ein in Details eindrucksvoller, aber kein großer Abend.

Es sei doch das „Ei des Kolumbus“, jubelte Gustav Mahler und war überzeugt, in seiner monumentalen Achten die „Sinfonie an sich“ geschaffen zu haben, weil in ihr „das schönste Instrument, das es gibt, seiner Bestimmung zugeführt wird – und doch nicht nur als Klang, denn die menschliche Stimme ist dabei doch der Träger des dichterischen Gedankens“. Gesang nicht bloß als ein Ausdrucks- und Steigerungsmittel in einem zunächst instrumentalen Verlauf, sondern als zentrales Element: Das war tatsächlich neu im symphonischen Kosmos Mahlers, der nirgendwo sonst mehr Ausführende verlangt und Texte so kühn zusammengezwungen hat wie hier den christlichen Pfingsthymnus „Veni, creator spiritus“ und die tausend Jahre jüngere Schlussszene aus Goethes „Faust“.

Gleichzeitig eignete sich wohl kaum ein Werk besser, musikalisches Gemeinschaftsgefühl auf der Basis von Verantwortung, Respekt und Toleranz in größtem Rahmen zu feiern – zentrale soziale und künstlerische Anliegen von „El Sistema“. 1975 begann dieses Wunder in einer Tiefgarage in Caracas, wo José Antonio Abreu ein Dutzend Kinder aus den venezolanischen Slums holte, ihnen billigste Instrumente in die Hand drückte und sie zu einem Orchester formte. Heute darf sich Venezuela (etwa 29 Mio. Einwohner) mit größerem Recht Musikland nennen als Österreich: Fast 400.000 junge Leute, heißt es, werden durch „El Sistema“ gratis ausgebildet, die Besten spielen in 1550 Musikgruppen und 24 staatlichen Orchestern.

Dudamel, ein souveräner Organisator

Das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela ist der Eliteklangkörper unter diesen, heuer kommt er erneut zu Festspielehren: Mit Gustavo Dudamel am Pult, selbst aus den Reihen von „El Sistema“ zu Weltruhm aufgestiegen, mit dem Wiener Singverein, dem Simón Bolívar National Youth Choir, Sängern der 2010 in Wien gegründeten Organisation Superar, die das Konzept von „El Sistema“ für Europa adaptiert hat, dem Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor sowie internationalen Solisten stand im Großen Festspielhaus also Mahlers Achte auf dem Programm – als Auftakt zu einem Mahler-Zyklus mit den Symphonien eins bis neun und wechselnden Interpreten.

Erstaunlich, wie dynamisch aufgeschlüsselt, klanglich homogen und zugleich mit plastischen Stereoeffekten die Massen des sonoren Doppelchores organisiert waren, wie sicher sich auch die auf der Seitenbühne postierten Kinderstimmen ins Geschehen einfügten, wie sauber, rhythmisch prägnant und auch differenziert das in enormer Stärke angetretene Orchester nebst dem auf dem Rang postierten zusätzlichen Blech agierte: Handwerklich erwies sich Dudamel, kleine Unstimmigkeiten sind hier praktisch unvermeidlich, als souveräner Organisator.

Als Interpret hat er in diesem zugegeben enorm schwierigen Werk das Ei des Kolumbus allerdings noch nicht entdeckt: Weitgehend straffe Tempi konnten nicht über manch matte, inhaltlich unbewältigt wirkende Passage vor allem im „Faust“-Teil hinwegtäuschen, und der Chorus mysticus hinkte in der Wirkung dem Schluss des ersten Satzes merkwürdig nach. Unausgeglichen auch die Solisten: Neben Klaus Florian Vogts knabenhaft-heldischem Tenor, rein im schönsten Sinne, den wackeren Sopran-Heroinen Emily Magee und Juliane Banse, der tadellos lyrischen Anna Prohaska sowie Yvonne Naef und Birgit Remmert verursachten der schwächelnde Detlev Roth und vollends der zu keiner Kantilene mehr fähige Kurt Rydl einiges Stirnrunzeln. Dennoch: rauschender Jubel.

Auf Ö1 am 31.7., 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2013)

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