Bayreuths rauschender Saisonstart

Bayreuths rauschender Saisonstart
Bayreuths rauschender Saisonstart(c) EPA (Tobias Hase)
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Der fliegende Holländer: Die Übernahme von 2012 wurde musikalisch das veritable Pendant zum gewohnt glamourösen Prominentenauftrieb auf dem grünen Hügel.

Thielemann! Es ist ein singulärer Eroberungsfeldzug, den der Berliner Kapellmeister unternommen hat. Im Jahr 2000 holte ihn Wolfgang Wagner für eine Reprise seiner letzten Inszenierung der „Meistersinger“ auf den grünen Hügel. Da waren die Reaktionen bei den deutschen Rezensenten noch durchwachsen. Mittlerweile haben es alle immer schon gewusst: Christian Thielemann ist der führende Wagner-Interpret unserer Tage.

In Bayreuth wurde ihm „ungeheure Macht“, weil Wolfgangs Töchter Eva und Katharina ihn sozusagen in die Familie aufnahmen – als musikalischen Drahtzieher hinter den Kulissen. „Tannhäuser“, „Parsifal“ und den „Ring“ hat er nach seinem Einstand im Festspielhaus bereits einstudiert, „Tristan“ und „Lohengrin“ werden bis 2019 folgen. Jetzt ist der „fliegende Holländer“ dran, und es ist dem Dirigenten zu danken, dass die Eröffnungsvorstellung, die im Jahr einer neuen „Ring“-Inszenierung (siehe Artikel rechts) keine Premiere sein kann, ein rauschender Erfolg wurde.

Christof Hetzers Bühnenbild für den ersten Akt, ein düster funkelndes Daten-Highway-Szenario, ist von durchaus beklemmender Wirkung. Doch reduziert die folgende Szene die Stimmung gleich wieder gegen Null: Der weichstimmig-hartherzige Daland Franz-Josef Seligs ist nämlich in Philipp Glogers Inszenierung nur Nebenerwerbs-Seemann. In Wahrheit beschäftigt er mit Benjamin Bruns einen (hell und kräftig timbrierten) Steuermann, der eher Buchhalter und (raffiniert phrasierender) Vertreter ist.

Den braucht Daland, besitzt er doch eine Fabrik, in der Ventilatoren hergestellt werden, die verkauft werden wollen. „Summ und brumm“, rufen die von Eberhard Friedrich mustergültig einstudierten Chormädchen den fleißig schnurrenden „Rädchen“ zu. Warum Frau Mary (Christa Mayer) erklärt: „Ich spinne fort“, ist allerdings rätselhaft. Bei Glogers Kollisionskurs von Text und Optik muss vieles ungereimt bleiben.

Die Töne loten in die Tiefe

Dergleichen kennt man auch in Bayreuth längst – und schließt die Augen. Die Tiefendimensionen des Dramas lotet ja die Musik aus. Das aber wirklich. Ricarda Merbeth hat die schwierige Aufgabe übernommen, von der im Vorjahr brillierenden Adrianne Pieczonka die Senta zu übernehmen – und reüssiert glänzend. Im Laufe des Mittelakts singt sie sich ganz frei – das Duett mit ihrem Traummann führt sie mit leuchtkräftigem Sopran, krönt die Steigerungsbögen mit sicheren Spitzentönen, denen der Titelheld nur eher zögerliche Kommentare hinzugesellen kann: Samuel Youn, im Vorjahr im letzten Moment eingesprungen, bekommt seine zweite Chance – und beweist, dass er den Holländer singen kann. Dass er im Verband einer insgesamt exzellenten Besetzung den Primus inter pares zu gestalten weiß, darf nicht behauptet werden.

Für Senta ist diesmal der Erik der rechte Widerpart: Debütant Tomislav Mužek gestaltet die undankbare Partie so durchschlagskräftig wie wortdeutlich, versteht es, den Moment zu nutzen, das Publikum ganz hereinzuholen: Vor der Traumerzählung verdichtet sich die Stimmung schlagartig, als würde bei einem exzellenten TV-Krimi der Täter hinter der nächsten Ecke lauern.

Das sind die vokalen Entsprechungen zu den instrumentalen Höhenflügen des Bayreuther Festspielorchesters. Unter Thielemanns Leitung formen die Musiker aus jeder scheinbaren Begleitfigur Essentielles. Vor allem gelingt es Thielemann, die scheinbaren stilistischen Brüche in Wagners erstem vollgültigem „Musikdrama“ in schlagkräftige Dramaturgie umzumünzen. Dass er nebst Wagner nicht nur Richard Strauss dirigiert, sondern auch die deutsche Frühromantik von Weber bis Marschner (bis zum „Hans Heiling“ in seiner Berliner Zeit), nützt dem Kapellmeister, die kühnen, fortschrittlichen Momente der „Holländer“-Partitur mit jenen natürlich zu verschmelzen, die aus der Tradition heraus fließen.

Thielemanns musikalische Stilkunde

Von Dalands Komödianten-Tönen zu den heftigen, hie und da grell dissonierenden Aufwallungen im Auftrittsmonolog des Holländers oder den Scharmützeln der Matrosenchöre im dritten Akt führen Verbindungslinien, deren reiche Schattierungen Thielemann auskostet. Was früher einmal Begleit-figuren waren, verwandelt Wagner raffiniert in rhetorische Stilmittel: Alles redet, erzählt, treibt das Drama voran.

Das spitzt sich in den entscheidenden Augenblicken dann atemberaubend zu – o, fände sich doch ein Regisseur, der solches szenisch umzusetzen verstünde...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2013)

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