Grazer Oper: Lohengrin und Elsa im Kleinbürgeridyll

Grazer Opernhaus
Grazer Opernhaus(c) APA (MAnninger Peter)
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Saisonstart mit einem merkwürdig lauen "Lohengrin". Johannes Erath scheut wie gewohnt jede Poesie.

Das Grazer Opernhaus – einst, am 17.September 1899, mit Wagners „Lohengrin“ eröffnet – war am Mittwoch, bei der zweiten Aufführung der neuen „Lohengrin“-Inszenierung, nur noch knapp zur Hälfte gefüllt. Und man wurde den Eindruck nicht los, dass sich diese laue Stimmung auf Bühne und Orchestergraben übertrug.

Aus diesem erklang zu Beginn ein poesieloses, von wackeligen Bläserakkorden und überhöhtem Tempo jeder Wirkung beraubtes Vorspiel, und dieser Eindruck bestätigte sich auch weiterhin: Der lichthell-heiligen A-Dur-Gralswelt standen Julien Salemkour und das Grazer Philharmonische Orchester deutlich distanzierter gegenüber als den dunklen, sich schlangengleich im Bösen windenden fis-Moll-Welten von Ortrud und Telramund, die großartig ertönten. Auch die großen Chorszenen beeindruckten, in denen der durch den Wiener Gustav-Mahler-Chor verstärkte Chor des Hauses grandios über sich hinauswuchs – Weltklasseniveau!

Herbert Lippert gebührt das Verdienst, mit seinem lyrisch timbrierten und doch gerade in den Pianopassagen manchmal angestrengt wirkenden Lohengrin die Produktion überhaupt gerettet zu haben, da Johannes Chum kurzfristig abgesagt hatte. Sara Jakubiak ist eine berührend stimmschöne Elsa, die die engelreine Unschuld genauso beeindruckend darstellt wie den fatalistischen Sog ihres Fragezwanges und ihre schließliche existenzielle Verzweiflung. Als ihre Kontrahenten überzeugen Anton Keremidtchiev als düsterer Telramund und Michaela Martens als entfesselt rasende Magierin Ortrud: die vokale Glanzleistung des Abends.

Nach „Lulu“, „Giovanni“ und „Elektra“ ist „Lohengrin“ die vierte Produktion, die Johannes Erath binnen weniger Jahre am Haus anvertraut wurde, und sie ist deutlich weniger desaströs als ihre Vorgänger. Obwohl die Luxuskostüme von Christian Lacroix kaum etwas zum Verständnis der inneren Handlung beitragen und manchmal sogar lächerlich wirken, beherrscht ein durchaus überzeugender Farbkontrast zwischen hell und dunkel das Bühnenbild.

König Heinrich als Machtmarionette

Packend wirkt die Deutung der großen Ortrud-Telramund-Szene als ein Albtraum Elsas, und auch in der Führung der Personen und vor allem des Chores hat Erath erkennbare handwerkliche Fortschritte gemacht. Trotzdem sagt er wie gewohnt jeder poetischen Wirkung systematisch den Kampf an, die große Liebesszene zwischen Lohengrin und Elsa als gestörtes Kleinbürgeridyll vor einem Volksempfänger ist von erotischer Hilflosigkeit. Die Darstellung der entzauberten Welt durch den Auftritt von Bühnenarbeitern im leeren Theaterraum, der „Aufklärungs“-Scheinwerfer direkt ins Publikum gerichtet – „Dass wir nur ja alle unsere aktuellen gesellschaftlichen Verstrickungen kapieren!“ –, die Desavouierung König Heinrichs (tadellos: Derrick Ballard) als zappelnde Machtmarionette im wilhelminischen Kostüm: Solche Versatzstücke aus der Rumpelkammer des deutschen Regietheaters sind ja zu erwarten gewesen. Doch sie störten die eigentlich positive Gesamtwirkung dieses Abends.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2013)

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