"Idomeneo" an der Staatsoper: Weniger modisch als logisch

FOTOPROBE: 'IDOMENEO'
FOTOPROBE: 'IDOMENEO'APA/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖ
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Kasper Holtens "Idomeneo"-Inszenierung ist stimmungsvoll und bietet große Arien. Damit wird die Wiener Staatsoper auf längere Frist gut leben können.

Opernhaus des Jahres  wird man auf diese Weise natürlich nicht, denn gelangweilte Feuilletonisten suchen den schnellen Nervenkitzenlauf der Bühne. Kasper Holten, Intendant der Londoner Covent Garden Oper, ist aber ein Praktiker. Er hat für die Wiener Staatsoper eine Inszenierung erarbeitet, die in stimmungsvoll-zeitlosen Dekors (Mia Sternsgaard und Anja Vang Kragh) die Geschichte vom König Idomeneus und seinem unseligen Schwur erzählt, so dass sich über Jahre hin die wechselnden Besetzungen zurechtfinden werden.

Die Premiere am Sonntag abend dominierte das Liebespaar, Ilia, die trojanische Prinzessin, die als Kriegsgefangene das Herz des Kreter-Prinzen Idamantes gewinnt. Die beiden geloben, miteinander durch dick und dünn zu gehen - und wie sie das im Mittelakt von Mozarts experimentellster Oper tun, das nimmt uns für die beiden ein: Das Duett, das Chen Reiss und Margarita Gritskova singen, ist von bezauberndem Wohllaut. Behutsam zeichnen auch die folgenden großen Arien die Seelenschwingungen der jungen Menschen, die in Zeiten der Bedrängnis zueinander finden, nach. Gritskova (Idamante) singt (zum Violinsolo Rainer Küchls) die von Mozart für Wien nachkomponierte große Szene "Non temer“ und krönt lyrische Emphase mit sicherer Koloraturgewandtheit.
Chen Reiss musiziert dann inniglich mit den Holbläsersolisten des Staatsopernorchesters - man hört, die Wiener Musiker verteidigen ihren Ruf als Mozart-Orchester und suchen nach vielen Originalklang-Experimenten wieder Anschluss an ihre traditionelle, vor allem vom Schönklang getragene Spielweise.

Romantischer Ton, ariose Hoffnungsschimmer

Christoph Eschenbach ist diesbezüglich der rechte Dirigier-Partner. Er liebt den romantischen Ton, wenn er auch hie und da sensibler mit den Sängern atmen könnte und manches in Mozarts Partitur mehr dramatischen Zugriff vertrüge. Etwa in den beiden furiosen Arien der Elektra, die Maria Bengtsson durchwegs mit der vorgeggebenen Belcanto-Attitüde bewältigt. Im Mittelakt schenkt Mozart der geplagten Atridentochter einen ariosen Hoffnungsschimmer, den Bengtsson dann auch mit hörbarer Wonne auskostet: die dritte blühende junge Stimme im Ensemble.

Michael Schade, der Titel-Antiheld, sorgt programmgemäß für die raueren Töne. Obwohl er die heikle Koloraturfassung der zentralen Arie „fuor del mar“ wählt, lädt er seinen Gesang mit Espressivo auf, hier flüstert er, da schreit er seine Emotionen heraus.
Dieser König will seine Macht nicht verlieren und schlägt wütend um sich, sobald seine Position ins Wanken gerät. Die Götter prüfen ihn, sobald er durch den Schwur, den ersten Menschen zu opfern, der ihm nach Errettung aus der Seenot an Land begegnet, ein Tabu bricht: Überhebe dich nicht selbst. Die Nachtmahre der Erinnerung, die schon Elektra umschweben – wir erkennen im Bewegungschor schemenhaft Agamemnon, Klytämnestra und Orest – holen zuletzt auch Idomeneo. Das Volk ist längst von ihm abgefallen: Carlos Osuna zelebriert als würdevoller Oberpriester die rituellen Handlungen, zum Zeichen, dass alles bleiben soll, wie es ist. Dazu muss sich freilich, wir wissen es aus dem Sprichwort, alles ändern: Sorin Coliban singt nicht als  Stimme vom Himmel , sondern verkündet als Revoluzzer die Machtübernahme des Prinzen und seiner trojanischen Prinzessin. Um den Ex-Potentaten scher sich keiner mehr.

Gekürzt und von Nebenhandlungen befreit

"Idomeneo" war für Mozart, wie alle seine Musikdramen, ein Work in Progress. In Wien hat man die Partitur durch kluge Umstellungen und Kürzungen neu eingerichtet, von Nebenhandlungen befreit – weshalb der schönstimmige Arbace von Pavel Kolgatin wie in so vielen "Idomeneo"-Versionen nicht dazu kommt, seine Arien zu singen.

Dafür entwickeln sich die Erzählstränge stringent und sind logisch nachvollziehbar. Holtens Personenführung ist so konzis wie eindringlich: Dass Elektra keine wilde Furie, sondern eine um ihre Existenz bangende, nervös unsichere Frau ist, wird ebenso deutlich wie die wachsende Irritation des Kreter-Königs oder die Gleichgültigkeit des Volkes, dem jeder Herrscher recht ist, solange Ruhe herrscht: Der Staatsopernchor (einstudiert von Thomas Lang) bringt Angst und Entsetzen ebenso zum Klingen wie herzlose Hymnen; die singt man vom Blatt, gleich für welchen Potentaten. Dergleichen ist zeitlos, weil ja leider auch die scheinbar aktuellen Anspielungen auf öffentliche Hinrichtungen etc. sich als mahnende Bilder nicht zu schnell verbrauchen werden.

Fazit: Eine Mozart-Inszenierung, mit der wir auf längere Frist ziemlich gut leben können. Auch wenn wir vom deutschen Feuilleton kurzfristig dafür gewiss nicht preisgekrönt werden . . .

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