Kritik: Musikverein: Aus der Katakombe in die Grottenbahn

Stemberger im Dialekt, Cellist Kleinhapl in Hochform.

„Eine Reise in das Innere von Wien“ organisiert Gerhard Roth im gleichnamigen Essayband. Er führt in die Katakomben, „die zweite Stadt“ unter der Inneren, wo sich die Schädel türmen, bis sie den Lebenden wieder ganz nahe sind, und die Innereien der Kaiser in Urnen der Ewigkeit entgegenmodern. Roth ortet die realen und seelischen Abgründe einer Ansiedlung, findet den Wiener als prekäres Wesen zwischen Schmäh und Verzweiflung.

Julia Stemberger griff sein Motto für einen Abend im Musikverein auf. Sie rezitiert aus Roths Essay und Jörg Mauthes köstlicher Hommage an den „unverstandenen“ Wiener. Doch untermischt mit den meist nur halblustigen Mundart-Sprüchen von Ernst Kein (einst „Herr Strudl“ der „Kronen Zeitung“), bleibt ihre Reise an der Oberfläche, gleicht eher einer holprigen Grottenbahnfahrt im Prater.

Cellist Friedrich Kleinhapl und Pianist Andreas Woyke transponieren das Thema mit tieferem Ernst und höherem Humor ins Musikalische. „Inter lacrimas et luctum“, zwischen Tränen und Trauer, schrieb der Wahlwiener Beethoven auf ein Exemplar seiner so heiter klingenden Sonate op. 69. Kleinhapl lässt sich hineinreißen in die wienerische Zerrissenheit, das Leitmotiv der ausgewählten Stücke, und reißt sein Publikum mit – am eindrucksvollsten im ersten Satz von Schuberts „Arpeggione“-Sonate. Kühn folgt dem sehnsuchtsschweren Hauptthema die tänzerische Durchführung mit ihrer verzweifelt aufgesetzten Fröhlichkeit, und der Cellist lässt den Hörer ungeschützt in alle Klüfte fallen, die sich da auftun. Schmerzhaft zynisch erklingen Weberns drei kleine Stücke, tief berührend Mahlers „Ich bin der Welt abhandengekommen“. Aber gleich darauf „Herr Strudl“? Ach, der hätte lieber im Kaffeehaus bleiben sollen. gau

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2009)

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