Kritik Musikverein: Haydn, expressiv bis zum Exzess

Meisterpianist Gottlieb Wallisch gab einen ungarischen Abend.

Es soll Leute geben, die Kammermusik von Joseph Haydn unaufregend, ja sogar langweilig finden. Diese hätten am Freitag im Brahmssaal des Wiener Musikvereins sein sollen. Der junge Meisterpianist Gottlieb Wallisch hat zu einem zutiefst ungarischen Abend geladen – mit Klaviertrios und einem Capriccio des heurigen Jahresregenten, ergänzt durch Rhapsodien und den „Kontrasten“ Béla Bártoks.

Beide Komponisten haben magyarischen Volksweisen in sogenannte „ernste Musik“ gegossen, Haydn schreckte selbst vor so deftigen Liedern wie „Acht Sauschneider müssen sein“ nicht zurück. Er formte daraus – wie stets – solide Kompositionen. Solide, aber für heutige Ohren nicht unbedingt aufregend und revolutionär klingend. Welches Leben in Wirklichkeit in ihnen steckt, zeigten Wallisch, Benjamin Schmid (Violine), Richard Harwood (Cello), Ralph Manno (Klarinette). Die vier verzichteten auf keinen dramatischen Effekt, den die Noten zulassen: Je nach Bedarf entfachten sie loderndes Feuer, verbreiteten Pathos, versprühten musikalischen Witz – oder schwelgten in tiefer Melancholie. Das pralle Leben, in Musik gepackt!

Kein Licht ohne Schatten: Die exzessiv-expressive Spielweise ging auf Kosten der Melodik, des Klanges. Man hatte bisweilen den Eindruck, dass die Musiker ihre Instrumente und deren Beherrschung überforderten: Den Streichinstrumenten entsprangen oft kratzige, schlecht intonierte Töne, in den Klarinettenklang mischte sich viel zu viel strömende Luft. Die große Ausnahme war Wallisch selbst: Er wurde seinem Ruf gerecht und schüttelte rasend schnelle Tongirlanden ohne sichtbare Anstrengung, quasi spielerisch aus dem Ärmel – noch dazu mit verblüffendem musikalischem Gespür, jeder Note genau so viel Gewicht zumessend, wie sie eben benötigt. ku

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2009)

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