Otto Klemperer: Ein Romantiker?

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Eine Otto-Klemperer-Kompilation bringt „Unerhörtes“ zutage.

In Wahrheit war er das Gegenteil dessen, was man als Romantiker bezeichnen möchte: Otto Klemperer (1881–1960), zu Zeiten Vorkämpfer der musikalischen Moderne – solange sie nicht „atonal“ wurde –, dann einer der strengen Orchesterzuchtmeister der „großen alten“ Kapellmeistergeneration. Schon als Chefdirigent der legendären Berliner Kroll-Oper offenbarte er seine Stärken: Fürs klassische Repertoire setzte er sich mit derselben Verve und Unerbittlichkeit ein wie für die tagesaktuelle Produktion. Man spielte, was das bürgerliche Publikum als schockierend-aufregend empfand; und man setzte Altbekanntes vom „Fidelio“ bis zum „Fliegenden Holländer“ in hochmoderne, expressionistische Bühnenräume. Klemperers späte Tonaufnahmen, die er für EMI (vorrangig mit dem Philharmonia Orchestra in London) machte, galten und gelten bis heute als maßstabsetzend. Dies vor allem, weil man nirgendwo sonst auf Tonträgern die großen klassischen und romantischen Meisterwerke so auf Punkt und Komma „nachhören“ kann wie in diesen Einspielungen. Es geht auch hier, wie einst bei der musiktheatralischen Vorkämpferarbeit, um die rechte Beleuchtung. Bekanntes wird aus bester Perspektive geradezu mit dem Feldstecher beobachtet. Klemperers Tempi in den Sechzigerjahren sind vielleicht auch deshalb des Öfteren geradezu aufreizend langsam. Das ermöglicht zunächst einmal eine Transparenz sondergleichen. Kein Dirigent seiner Generation, schon gar kein Jüngerer, hat es etwa verstanden, die akustische Balance zwischen Bläsern und Streichern so perfekt auszutarieren. Und: Wer einmal die Geduldsprobe bestanden hat und einfach unvoreingenommen zuhört, der entdeckt bald auch die ungeheure rhythmische Kraft, die das Orchester unter Klemperers Leitung immer entfesselt. Da wird gestochen klar und mit Kern artikuliert.

Und die Romantik, um die es bei der jüngsten Zusammenstellung aus dem Klemperer-Archiv geht? Die Romantik stellt sich bei Schubert, Schumann, Mendelssohn oder Weber tatsächlich von selbst ein, schleicht sozusagen durch die Hintertür ins Geschehen. Nur, dass man diesfalls außerdem noch allerhand Mehrwert geliefert bekommt. Auch bei einigen Interpretationen von Meisterstücken jenseits des deutschen Repertoires, wo Klemperer wahrhaft „unerhörte“ Details an die Oberfläche bringt – bei Berlioz, Franck oder Tschaikowsky. Außerordentlich, nach wie vor.

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