„Elektra“: Seelenkatastrophen

(c) Festival d’Aix-en-Provence/Pascal Victor
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Einst und heute: die „Elektra“ auf CD und DVD.

Für Dirigenten hat Richard Strauss’ ­„Elektra“ den Stellenwert, der im Symphonischen vielleicht Beethovens Neunter zukommt, hochdramatische Soprane können auf der Stimmbandstress-Skala nicht höher steigen. Selbst für eine Primadonna assoluta in diesem Fach ist also das „Elek­tra“-Debüt ein besonderes Datum: Nina Stemme steht es im März 2015 an der Wiener Staatsoper bevor. Indessen ist die „Elektra“-Rezeption unserer Tage exzellent dokumentiert: Auf CD erschien jüngst (bei DG) der Mitschnitt von Christian Thielemanns Berliner Aufführung mit dem Ur­auf­führungs­orchester, der Staatskapelle Dresden. Auf DVD (bei BelAir) ist die Festspielinszenierung von Patrice Chéreau aus Aix-en-Provence herausgekommen – dieselbe Titelheldin (Evelyn Herlitzius), dieselbe Klytämnestra (Waltraud Meier), zwei gleichwertige Sängerinnen für die Chryso­themis (Anne Schwanewilms, besonders leuchtkräftig und wortdeutlich, bei Thielemann, Adrianne Pieczonka in Aix). Freilich: Die Ergebnisse sind grundverschieden. Chéreaus punktgenaue Regie macht die optische Version zu einem Theatererlebnis, doch wird die Tragödie bei Thielemann weit dringlicher erzählt als beim glatten, genauen, aber oft völlig spannungslos musizierenden Orchestre de Paris unter Esa-Pekka Salonen. Was an Explosivkraft in der Partitur steckt, hört man am intensivsten bei einem Livemitschnitt der vorletzten „Elektra“-Premiere der Wiener Staatsoper (Orfeo): Was Karl Böhm anlässlich der Inszenierung Wieland Wagners aus dem Orchester herausholte, grenzt bis heute in seiner geballten, schier unausweichlich vorwärtsdrängenden Kraft an ein Wunder.

(c) Orfeo

Nilssons Kraft. Ein Vergleich macht sicher: Hören wir die geradezu teilnahmslos, wenn auch rund und schön modellierten Klänge, zu denen Orest, noch unerkannt, seine Schwester anspricht – und fühlen wir dann die Dringlichkeit, mit der dieselbe Passage einst in Wien gestaltet wurde, fällt uns die Wahl zwischen moderner Digitaltechnik und dem ORF–Monoklang von 1965 nicht schwer. Ganz abgesehen von den Sängerleistungen: die mit unglaublicher Ruhe und Siegesgewissheit verströmte Kraft der Birgit Nilsson, Eberhard Waechters männlich-sicherer Orest, die ekstatisch-verzweifelte Chrysothemis der Leonie Rysanek und vollends die Klytämnestra der Resnik, deren Seelenkatastrophenberichte von geradezu furchteinflößender Plastizität sind – ein halbes Jahrhundert später fehlt auch großen Interpreten offenbar der Mut zu solcher Intensität. Dabei agiert man unter Böhm nicht nur expressiv, sondern auch ungemein präzise.

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