Skrjabin: Genial verrückt

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Eine CD-Edition des Gesamtwerks von Skrjabin.

Demnächst jährt der Todestag von
Alexander Nikolajewitsch Skrjabin sich zum 100. Mal. Für Pianisten und Freunde der Klaviermusik ist dieser Komponist mit einigen Werken stets präsent. Seine Bedeutung als wichtige Gestalt der Musikgeschichte in der Zeiten- und Stilwende um 1900 aber ist nicht annähernd ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen. Eine Übersicht über das Gesamtwerk vermittelt nun im Gedenkjahr eine aus dem Fundus von DG und Decca bestückte Edition auf 18 CDs, die alles enthält, was der Meister hinterlassen hat. Wir verfolgen seinen Weg vom komponierenden Klaviervirtuosen in der Chopin-Nachfolge bis zum versponnenen Egomanen, der meint, mit einem Gesamtkunstwerk ein „Mysterium“ zu schaffen, das die Welt – oder zumindest einige würdige Eingeweihte – „erlösen“ zu können. Selbst die „vorbereitende Handlung“ zu diesem Akt hat man vor einigen Jahren zu rekonstruieren versucht. Jenes Restaurationswagnis krönt auch diese CD-Folge, die sich vorrangig aus Aufnahmen des Pianisten und Dirigenten Vladimir Ashkenazy speist, der 2014 noch einmal ins Studio gegangen ist, um alternierend mit Kollegin Valentina Lisitsa einige für den Katalog noch fehlende Stücke einzuspielen. Doch stehen neben diesen Interpretationen und Klassikern wie der Aufnahme des Klavierkonzerts mit Ashkenazy unter Lorin Maazel (1971) auch legendäre Skrjabin-Schnappschüsse, Vladimir Horowitz’ Deutungen der frühen dis-Moll-Etüde und des späten, wahrlich mysteriösen Poèmes „Vers la flamme“.

(c) Decca

„Mystischer Akkord“. Und auch der Livemitschnitt der Fünften Klaviersonate bei Swatoslaw Richters Italien-Tournee 1962. Eine singuläre Hörerfahrung – da werden Grenzwerte in pianistisch-technischer wie musikalisch-expressiver Hinsicht ausgelotet. Diese Sonate steht in Skrjabins Schaffen auf einer Schwelle, deren Überschreitung ihn in neue harmonische Welten führte. Hinfort regierten nicht mehr Dur und Moll, sondern der aus
Quarten geschichtete „mystische Akkord“ – und die Musik schwebt in einem rätselhaft unentschlüsselbaren, aber für den Hörer gefühlsmäßig doch erfassbaren Raum, in dem die Klangfiguren sich nach Skrjabins poetischen Vortragsbezeichnungen entfalten: „fliegend“, „exaltiert“, „frenetisch“, „delirant“, . . . Wenn es auch von manchem Werk, den drei ausladend orchestrierten Symphonien vor allem, exzellentere Interpretationen einzeln zu erwerben gibt: Die neue CD-Box kann für Skrjabin-Einsteiger ein faszinierender Wegweiser sein und hält für kundige Sammler einige Raritäten bereit.

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