Friedrich Gulda: Ganz nah dran an Bach

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Guldas Gesamtaufnahme des „Wohltemperierten Klaviers“.

Vor wenigen Tagen wäre Friedrich Guldas 85. Geburtstag zu feiern gewesen. Am besten gedenkt man des grandiosen Musikers, indem man seine Aufnahmen hört. Und zwar so, wie er gern gehabt hätte, dass sie aufbewahrt werden. Einer audiophilen Initiative ist es zu danken, dass rechtzeitig zum Gedenktag eine Neuauflage der legendären Gesamtaufnahme von Bachs beiden Bänden des „Wohltemperierten Klaviers“ in den Handel gekommen ist. Und zwar auf CD und – ganz zeitgemäß – in Form von Download-Files, aber ebenso auf Vinyl, als auch optisch originalgetreues Remake der 1977 erschienenen Schallplattenkassette. Auf fünf LP, exquisit gepresst auf 180-Gramm-Vinyl, kann man dank des Lackfolienschnitts von den originalen Masterbändern aus den Jahren 1972 (Band 1) und 1973 des Pianisten interpretatorische Leistung völlig unverfälscht nachvollziehen. Auch in den digitalen Vertriebsformen hat man versucht, der analogen Wahrheit so nah wie möglich zu kommen; also ohne die dynamischen Korrekturen, die bei früheren CD-Auflagen vorgenommen wurden. Das ist doppelt bedeutsam, denn Gulda hatte sehr genaue Vorstellungen, wie sein Klavierspiel zu konservieren sei. Die Bach-Aufnahmen waren Höhe- und Schlusspunkt seiner Zusammenarbeit mit dem bayerischen High-Fidelity-Fanatiker Hans Georg Brunner-Schwer, auf dessen Label MPS auch die ungewöhnlichen Konzeptalben Guldas erschienen sind. Wie bei diesen wählte man für das „Wohltemperierte Klavier“ eine Mikrofonierung, die den Klang quasi direkt abrief, also kaum Luftdistanz zwischen Mikro und den Klaviersaiten zuließ. Das lässt den Hall gegen null sinken, gibt aber vollkommen verlustfrei die unglaubliche Nuancierungskunst Guldas wieder.

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Das Klavier singt. Gulda hat sich ja nicht nur mit dem modernen Konzertflügel, sondern auch mit dem zu Bachs Zeiten für intime Stücke wie diese Folge von 48 Präludien und Fugen in allen Dur- und Moll-Tonarten beliebten Clavichord ausführlich befasst. Seine liebevolle Aneignung der gesanglichen Möglichkeiten dieses Instruments ist in vielen Passagen der Aufnahme zu spüren. Andererseits scheut der Künstler auch nicht davor zurück, uns hie und da spüren zu lassen, dass Bach auch der bedeutendste Organist seiner Zeit war. Wer in Kürze erleben möchte, wie man ein Klavier zum Singen bringen kann, muss nur das es-Moll-Präludium aus dem ersten Band hören – um dann bei der Fuge vollends zu staunen: Das ist Vokalpolyfonie subtilster Schattierung. Vollendet gespielt – und endlich wieder auf adäquaten Tonträgern erhältlich.

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