Joseph Haydn: Papas Füllhorn

(c) ORF (Felix Breisach)
  • Drucken

Die Symphonien Joseph Haydns im „Originalklang“.

Die Anzahl an Gesamteinspielungen der Beethoven-Symphonien ist unüberschaubar. Kunststück, das sind auch „nur“ neun. Bei Beethovens Lehrmeister Haydn wird die Sache komplizierter: Der „Vater der Symphonie“ hat über 100 einschlägige Kompositionen hinterlassen. Entsprechend rar sind die dicken Kompendien, die „alle 107“ enthalten. Das jüngste ist zugleich die erste Gesamtaufnahme „auf Originalinstrumenten“ – und weil es bisher keinem Originalklang-Pionier gelungen ist, sämtliche Haydn-Symphonien aufzunehmen, handelt es sich um eine Kombination sämtlicher Haydn-Studioaufnahmen von Frans Brüggen mit Einspielungen der Academy of Ancient Music unter Christopher Hogwood. Beide, Brüggen wie Hogwood, starben 2014. Hogwoods Projekt einer Gesamtdarstellung war lange vorher aus Kostengründen abgebrochen worden. Und selbst nach Zusammenführung der Aufnahmen der beiden so unterschiedlichen Interpreten-Temperamente klaffte noch eine Lücke: Die Symphonien mit den Hoboken-Nummern 78 bis 81 fehlten. Ottavio Dantone hat sie 2015 mit seiner Accademia Bizantina aufgenommen; vom Standpunkt des hedonistischen Musikkonsumenten sind das die besten Wiedergaben im Set, lebendig, frisch und, wo’s darauf ankommt, auch frech. Der theatralische Geist Haydns, der viel länger als Opernkapellmeister tätig war, als heutzutage alle glauben, kommt da zu seinem Recht. Doch haben auch die vergleichsweise besonnenen Einspielungen Brüggens und die detailverliebt-klaren Darstellungen Hogwoods ihre Meriten.

„Alle 107“. Sämtliche Haydn-Symphonien „on period instruments“.
„Alle 107“. Sämtliche Haydn-Symphonien „on period instruments“.(c) Beigestellt

Spannend. Vor allem Hogwood gelingt es bei heiklen Aufgaben wie dem langsamen Einleitungssatz des „Philosophen“ (Hob. I/22), über zehn lange Minuten die Spannung zu erhalten. Man vergleiche nur die etwas gemessenere, vor allem agogisch weit weniger beredte Aufnahme Simon Rattles, der deshalb weniger Zeit für den Satz braucht, weil er schlicht die zweite Wiederholung weglässt. Bei Hogwood wird alles gespielt – und man bekommt ein Gefühl für die Spielmanieren der Entstehungszeit, denn tatsächlich musste Haydn lange mit einem so kleinen Ensemble auskommen. Erst bei seinem zweiten Londoner Gastspiel hatte er ein weit größeres Orchester zur Verfügung, als es für diese Gesamtaufnahme von Brüggen verwendet wurde. Aber das ist ein ganz anderes Kapitel in der Stilgeschichte. Hier gilt es einmal der Entdeckerfreude: Die weckt Haydn von Stück zu Stück, von Satz zu Satz. Nichts ist über einen formalen Leisten geschlagen: „Papa Haydns“ Füllhorn war unerschöpflich. (Decca)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.