Warum ich oft aus dem Theater flüchte

B. Dallansky, A. Hörbiger, W. Reyer
B. Dallansky, A. Hörbiger, W. Reyer(c) Arthaus
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Eine DVD bringt uns Nestroys "Lumpazivagabundus" mit Attila Hörbiger aus Salzburg (1962) ins Haus. Da sieht man, warum man heute im Theater so oft unglücklich ist!

Zu den schönsten Dingen im Kultur-Geschäft gehört es, in den Archiven zu stöbern. und historische Aufnahmen anzuhören. Oder, die DVD macht's möglich, anzuschauen. Zu den schönsten, aber auch gefährlichsten Dingen, denn Live-Mitschnitte ermöglichen es uns, Erinnerungen aufzufrischen oder sogar Vergleichsmöglichkeiten geboten zu bekommen, von denen nur ältere Zeitgenossen aus eigenem Erleben berichten können.

Georg Kreislers subtile Bosheiten

Der Vergleich, heißt es, macht uns sicher. Zuweilen macht er unglücklich. Denn er vermag die schönste Erfolgsmeldungen von der Theaterfront zu relativieren. Bei Arthaus ist kürzlich der Mitschnitt der Salzburger Festspiel-Aufführung von Nestroys „Lumpazivagabundus" erschienen: 1962, Leopold Lindtberg führte Regie, niemand Geringerer als Georg Kreisler war Arrangeur und Dirigent - und entsprechend hintergründig geht es schon vom ersten Auftakt der Ouvertüre an zu: Denn Kreisler hat Adolf Müllers Original-Musik auf seine Weise arrangiert, also angeschrägt, um für den Konsumenten des 20. Jahrhunderts herauszufeilen, was an Klängen Nestroys bösen Humor hörbar machen kann. Das Ganze gipfelt in einem Opern-Quodlibet, das Kreislers ganze musikalische Kunstfertigkeit offenbart und Elfriede Ott zu einem umwerfend komischen Duett-Auftritt mit Erika Pluhar verhilft.

Attila Hörbigers Größe

Eine ideale Chance für zwei blutjunge Schauspielerinnen gut aufzufallen inmitten eines erlesenen Schauspieler-Ensemble, angeführt vom hinreißenden Attila Hörbiger als Knieriem. Was er konnte, ist hier in grandiosen Solo-Auftritten zu erleben, vom kraftvollen, aber nie derben Witz bis zu seelenvoll-melancholischer Selbstbespiegelung; gipfelnd in einem sensationellen Couplet, das trotz unglaublicher zeitlicher Ausdehnung zu den kurzweiligsten Demonstrationen bdeutender Schauspiel-Kunst gehört, die auf DVD dokumentiert sind.

Festspiele in Salzburg, kein Problem!

Woraus zu lernen ist: Die Salzburger Festspiele haben sich ganz leicht programmieren lassen, solange nicht die Hauptstadt-Phobie ihre „Los von Wien"-Parole angezettelt hatte. Das Rezept war simpel: Man bringe in Salzburg zur Sommerszeit mit Lust auf die Bühne, was Wien im besten Fall vermag - aber unterm Jahr aus vielerlei Gründen nur selten ungestört zustande bringt.

Oder sagen wir besser: zustande brachte. In der Aufführung herrscht ein Tempo und eine Subtilität in den Dialogen und Übergängen, die - vor allem in ihrer sprachlichen Geschliffenheit - heute tatsächlich nirgendwo auf einer Wiener Bühne auch nur annähernd erreicht wird. Wie arrangiert und frisch gestrichen dieser Nestroy sich hier auch präsentieren mag, er atmet doch auf Punkt und Komma den Geist des Stücks. Was an Aktualität draufgesetzt wird, kommentiert Nestroys Text, und nicht Ideen, Seelenzustände oder Unpässlichkeiten des Regisseurs. Die Hoffnung, zeitgenössische Theatermacher könnten sich dieser Tugenden wieder einmal besinnen, bleibt vage. Bis auf weiteres dürfte mit Erscheinen dieses DVD-Mitschnitts die Chance, dass ich bei meinem nächsten Wiener Sprechtheater-Versuch - wie zuletzt so oft - zur Pause flüchte, wieder beträchtlich steigen.

Lumpazivagabundus auf DVD

Live von den Salzburger Festspielen 1962: Johann Nestroy: "Der böse Geist Lumpazivagabundus". Mit Attila Hörbiger, Bruno Dallansky, Walther Reyer, Willy Trenk-Trebitsch, Erika Pluhar, Elfriede Ott, Lotte Ledl u. v. a. Arthaus DVD 101 840

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