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Martin Philadelphy: „Für mich war Jazz ursteife Musik“

(c) Sara Schober
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Der eigentümliche Tiroler Gitarrist und Sänger Martin Philadelphy, der bereits 27 CDs aufgenommen hat, eröffnet das 33. Jazzfestival Saalfelden. Ein Gespräch mit der "Presse" über Jazz, Brotjobs und Joe Zawinul.

Für jemanden, der 27 CDs aufgenommen hat, ist der Tiroler Martin Philadelphy eher unbekannt. Das liegt zum einen daran, dass er munter wie einst Frank Zappa zwischen den Genres Rock, Jazz, Freie Improvisation und Spoken Poetry wechselt, zum anderen daran, dass er einige seiner besten Werke unter Pseudonymen wie Blind Idiot God und Elektro Farmer herausgebracht hat. Sein heterogenes Werk verteidigt Philadelphy leidenschaftlich: „Ich versuche, in Österreich einen amerikanischen Traum zu leben. Musik ist mein Lebensexperiment. Weil ich so viele unterschiedliche Dinge mache, wirft man mir oft vor, dass ich mich nicht gefunden habe. Dabei ist es bloß ein den Möglichkeiten Hinterherlaufen.“ Michaela Mayer und Mario Steidl, die künstlerischen Leiter des Jazzfestival Saalfelden, begeistert diese künstlerische Zerrissenheit.
Weil er „auf gute Art vielfältig ist“, bekam Philadelphy den begehrten Auftrag, das Eröffnungskonzert des Festivals zu gestalten. Er hat sich den New Yorker Keyboarder Jamie Saft und den portugiesischen Schlagzeuger Gustavo Costa als Begleiter ausgesucht.

„Ob es nun jazzig wird, kann ich nicht sagen. Für mich war Jazz immer eine ursteife Musik, wo Musiker höchst sportlich irgendwas Nebulöses demonstriert haben. Ich fühlte mich immer mehr zum Rock und seinen freien Formen hingezogen.“ Philadelphy, der jedes Jahr auch Projekte in den USA verwirklicht, schwärmt von der Improvisationsszene jenseits des Atlantiks. „Dort macht die Avantgardeszene nie auf elitär wie in Europa. Die müssen alle irgendwelche Brotjobs zwischen Hiphop und Fernsehmusik machen und wissen das künstlerisch noch zu nützen.“ Obwohl sich der 41-Jährige zuweilen staatlicher Förderungen erfreut, schwärmt er von den ungeregelten Verhältnissen in den USA. „Die Künstler dort leben ohne Sicherheitsnetz, das macht sie so besonders.
Europäische Kollegen sind im Vergleich dazu gut versorgt. Staatliche Zuwendungen machen leider oft mundtot und lasch. Wenn du nur für Türgeld spielst, kümmerst du dich auf viel intensivere Weise um den Hörer. Bei uns dominiert eher die Frage: ,Wieviel will ich geben für das, was ich bekomme?‘“

New York, das war seit den frühen Tagen des Joe Zawinul immer ein Ort der Verheißung für österreichische Musiker. Karl Ratzer lebte in den Siebzigerjahren dort, Wolfgang Muthspiel in den Neunzigern.

Erfolg mit „witzigen rhythmischen Ideen“

Für Philadelphy war es nie eine Option, ganz in die USA zu gehen. Anschluss hatte er schnell. „Naivität und Zufälle helfen. Gleich bei meinem ersten Aufenthalt lernte ich den Schlagzeuger Victor Jones kennen. Bald habe ich mit Legenden wie Reggie Washington und Elvin Jones gespielt.
Ich glaube, es lag an meinen witzigen rhythmischen Ideen, dass ich mit viel besseren Musikern spielen durfte, als ich selbst einer war.“ In einem finanziell schwierigen Moment rief er den nicht gerade als Menschenfreund bekannten Joe Zawinul an, um zu fragen, ob er bei ihm übernachten könne. „Spinnst du?“, war Zawinuls erste Reaktion. „Er hat dann zugehört, als ich ihm erzählt habe, was ich so mache. Ich hab trotzdem aufgelegt.“

Andere utopisch erscheinende Projekte ließen sich erstaunlich geschmeidig verwirklichen. Als er las, dass der Zeichner und Schriftsteller Robert Gernhardt Sehnsucht nach Vertonung seiner Gedichte hätte, setzte er sich gleich in Verbindung mit dem Seelenverwandten. „Als ich mein erstes Robert-Gernhardt-Buch bekam, war es eine Offenbarung. Sein Witz, seine Gedanken – alles war mir so vertraut.“ Man war sich schnell einig. Die Veröffentlichung des exquisiten Albums „Ein Glück“ erlebte Gernhardt nicht mehr. Dann kam ein mysteriöser Anruf. „Ein mir unbekannter Herr gratulierte, sagte, man spüre den Robert in den Liedern.“ Am Apparat war ein gewisser Claus Peymann.

Das Festival

Von 23. bis 26. 8. läuft das Jazzfestival Saalfelden: Neben Martin Philadelphy (24. 8., 19 h) lockt u. a. das französische Quartett von Henri Texier. Neue Kräfte wie der introvertierte italienische Pianist Giovanni Guidi und der energetische Hasse Poulsen stehen ebenso auf der Bühne des Congress Saalfelden wie die Jazzlegenden Muhal Richard Abrams und Pharoah Sanders. Es gibt auch wieder Almkonzerte, die avancierten ShortCuts und die CityStage. www.jazzsaalfelden.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2012)

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