Zarter Dialog von Samuel Beckett und Peter Handke

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Die Innenwelt der Innenwelt bei den Salzburger Festspielen. Ein sinniger Abend im Landestheater: Regisseur Jossi Wieler macht aus Monologen von Samuel Beckett und Peter Handke einen zarten Dialog.

Was machen Dichter, wenn sie nicht dichten? Sie versagen sich. Leiden. Verstummen. Versagen. Unübertroffen hat dies Samuel Beckett 1958 in seinem 15 schmale Seiten umfassenden Text „Das letzte Band“ ausgedrückt. Dieser Epilog zum absurden Theater gilt als ein Endpunkt der Literatur. Krapp, 69, ein gescheiterter Dichter, hört sich Tonbänder an; „Schachtel drei – Spule fünf.“ Darauf hat er 30 Jahre zuvor festgehalten, wie er eine Liebe fand und zugleich verloren gehen ließ. Wir wissen nicht einmal ihren Namen. Es bleibt bei wenigen Sätzen über eine Begegnung im Boot, im Schilf. Knapper ist Welttheater kaum vorstellbar.

Diese „vollkommene Reduktion“ bewundert auch Peter Handke. Und er hat darauf reagiert. Ein großer Dichter antwortet einem der größten Dichter. 50 Jahre nach „Krapp's Last Tape“ hat der Österreicher in Paris mit „Jusqu'à ce que le jour vous sépare ou Une question de lumière“ ein weibliches Echo auf Beckett geschrieben. Wir kennen noch immer nicht ihren Namen, aber immerhin gibt es eine Widmung: „Für S.“

Jetzt wird abgestorben

Im Vorjahr las Handkes Gattin Sophie Semin den französischen Text in Salzburg, weihevoll, pathetisch, ein Kontrast zu Krapp, den zuvor Thomas Holtzmann knarrig im kleinen Kreis in Schloss Leopoldskron vortrug. Diesen Sonntag aber gab es eine opulentere Inszenierung im Salzburger Landestheater. Erst wurde Becketts Monolog von André Jung gespielt, dann Handkes von ihm höchstselbst aus dem Französischen übertragener Text als deutsche Erstaufführung. Nina Kunzendorf spielte „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“. Jossi Wieler führte in der Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen Regie. Die Schauspieler glänzten mit feiner Ironie und hoher Musikalität. Die Bilder stimmten nachdenklich. Es wurde ein dichter Abend, der auf allen Ebenen beeindruckte.

Zum Spiel: Das Salzburger Publikum strömt in den Saal, noch rauscht ihr Gemurmel, da erklimmt ein verwahrlost gekleideter Mann mit Mühe einen Erker aus Aluminium, der in eine schwarze, die Bühne versperrende Wand eingelassen ist (Bühne und Kostüme: Anja Rabes). Zerschlissener grauer Anzug, schlechte Schuhe, das blaue Hemd bis zum Nabel offen – André Jung hat als Krapp auch den müden Blick eines Obdachlosen, der intensiv ist und zugleich ins Leere geht. Nur kurz reagiert er auf kleine Vorkommnisse im Zuschauerraum, ehe sein Blick stumpf abgleitet. Jetzt aber wird es dunkler, Krapp geht ans Werk. Jetzt wird abgestorben.

Spule fünf aus Schachtel drei

Auf dieser kleinen, erhöhten Bühne befinden sich ein Tisch mit einem Tonband, zwei Stühle und ein Metallkoffer. Diesen öffnet Krapp, holt einen Bund Bananen raus, nimmt eine davon. Er setzt sich auf den Stuhl rechts am Rand, schält die Banane, wirft die Schale hinter den Koffer, hält die Banane wie einen Penis und beginnt sie hastig zu essen. Das ist bereits die aktionsreichste Szene, denn danach wird sich Krapp an den Tisch setzen und Spule fünf aus Schachtel drei einspannen. Worte, nichts als Worte, der ferne Klang einer Liebe, Krapp mit einer um 30 Jahre jüngeren Stimme, noch Spuren von Selbstbewusstsein schwingen mit.

Der alte Krapp spielt jene kurzen Szenen von einst ab, prüft aufmerksam Worte, schaut im Lexikon nach, welche Bedeutung „Witibtum“ hat, wiederholt die Sätze, bei denen sich offenbar sein künftiges Leben entschied, gegen die Frau, für die Kunst, die keinen Erfolg brachte. Das Antlitz des Alten: aufmerksam lauschend, dann wieder verlöschend, wenn es um ihre Augen („Ließen mich ein“), das Treiben im Schilf, das Schaukeln des Bootes und das Seufzen der Rohre geht. Seine Lippen bewegen sich mit: „Nach Mitternacht. Nie erlebte ich solche Stille. Die Erde könnte unbewohnt sein.“ Ein Scheitern voll Poesie. Dann wird Krapp sein letztes Band besprechen, von sich werfen und auf das Tonbandgerät sinken wie ein Toter.

Zweiter Teil: Die Bühne öffnet sich, der Kasten mit Krapp dreht sich nach hinten. Nun sieht man im Vordergrund, dass hinter dem Metallkoffer ein Berg von Bananenschalen liegt. Verdorbenes Gut, ein Haufen Verwesung. Der Tod wird auch ganz hinten an der Wand angedeutet. Dort hängt ein langes Diptychon an der Wand. Wie ein Relief mit den Händen zweier Steinstatuen wirkt es, wie ein Grabmal. Es wird heller, die beiden Bilder sind Monitore (Video: Stefan Bischoff), auf denen sich in der nächsten halben Stunde bei diskreter Musik (Wolfgang Siuda) Alltagsszenen eines Paars abspielen: im Bett, beim Frühstück, beim Lesen, beim Schreiben und Tippen. Rechts der Mann, links die Frau. Immer, wenn die eine Seite erstarrt, beginnt sich die andere zu bewegen. Aus dem Off kommt die Stimme einer älteren Frau: „Mein Spiel jetzt. Dein Spiel, es ist gespielt, Mister Krapp, Monsieur Krapp, Herr Krapp.“ Handkes Erwiderung auf Beckett hat begonnen.

Handkes Sehnsucht schwingt mit

Auftritt nun eine junge Frau, mit hellerer Stimme. Nina Kunzendorf spricht ihren Monolog mit leicht verhaltenem Rhythmus, gibt Handkes Sprache, die im Vergleich zu Beckett auch Überfluss hat, ein wenig Ironie. Wo zuerst Verschlossenheit war, lockt diese selbstbewusste Frau jetzt ins Offene, öffnet sich und enthüllt dabei die Defizite des Mannes, der sie zurückgestoßen hat. Echo philosophiert – über das Zeigen, das Bezeichnen, das Dasein, das Dagewesensein, die Liebe. Auch Handkes Sehnsucht, ein Klassiker zu sein, schwingt mit: „Und mein gestammeltes Echo singe ich jetzt, als Notenschlüssel den fröhlichen Zorn, so wie du die heitere Illusionslosigkeit.“

Die junge Frau, die aus der Vergangenheit gekommen ist, wird der Nachhall zu seinem Hall, heißt es am Ende. Der zweite Text verweist auf den ersten, verwebt sich mit ihm. Diesem Ansatz zu einem Dialog wird eine schöne Form gegeben. Im Verlauf des Monologs der Frau wendet sich Krapp, der anfangs noch hingesunken war, die Tonbänder zerrauft hat, ihr zu, reagiert in Mimik und Gestik. Schließlich tritt er von seiner kleinen Bühne runter auf die richtige Bühne. Nach einer Weile folgt ihm die Frau, noch im Reden greift sie ihm kurz ans Herz. Nichts geht mehr. Es dunkelt. Das Bild im Hintergrund ist wieder zum Relief erstarrt.

Weitere Aufführungen: 11., 12., 13.August

Eine Begegnung

Samuel Beckett (1906–1989) und Peter Handke (geb. 1942) sind einander mindestens ein Mal begegnet – morgens in der Closerie des Lilas in Paris. Ihr Verleger Siegfried Unseld erzählte, dass Handke dabei voller Scheu vor dem großen Mann geschwiegen habe. Erst beim Abschied habe sich ein Dialog ergeben. Handke: „Beckett, jetzt habe ich doch eine Frage: Sehen Sie fern?“ Beckett: „Ja.“ Handke: „Was sehen Sie denn?“ Beckett: „Nur Fußball.“ Handke: „Beckett, das finde ich prima.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2009)

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