Wenn es dem Gretchen vor Heinrich nicht mehr graut

Wenn Gretchen Heinrich nicht
Wenn Gretchen Heinrich nicht(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Die Salzburger Festspiele stellten Jon Fosses "Faust"-Bearbeitung vor: keine Reime, dafür stark gekürzt.

Ja, darf er denn das? Goethes „Faust“ einfach seiner Reime entkleiden? Das berühmte „Habe nun, ach!“ lapidar mit „Genug jetzt!“ übersetzen? Und wenn am Ende Gretchen ruft: „Heinrich, ich zittere vor dir!“ Soll man das dann noch goutieren müssen? Aber nein, meinte so mancher im Publikum nach der szenischen Lesung von Jon Fosses „Faust“-Adaption und tat dies in der anschließenden Diskussion auch kund. Aber ja doch, meinten andere und bewunderten, wie sich der norwegische Dramatiker den Text zu eigen gemacht hatte.

Von einem „Abenteuer“ sprach zumindest Schauspielchef Thomas Oberender. Und Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel wies auf so einige Schwierigkeiten hin, die das Unterfangen begleitet hatten: Denn Jon Fosse hat Goethe natürlich ins Norwegische übertragen (ins Hochnorwegische übrigens, bewusst nicht in die Umgangssprache!). Aus diesem Hochnorwegischen musste Schmidt-Henkel den Text wieder zurückführen und für ein Publikum adaptieren, das „seinen“ Faust selbstverständlich im Ohr hat und hochschreckt, wenn plötzlich die Böses wollende Kraft das Gute nicht mehr „schafft“, sondern schlicht „tut“.

Für Schmidt-Henkel eröffnen sich dem Theater so jedenfalls neue Chancen. „Von Shakespeare gibt es eine ganze Reihe von Bearbeitungen und Übersetzungen. Die Briten beneiden uns darum, dass wir ihren Shakespeare immer wieder neu sehen können, während sie immer nur den alten Shakespeare bekommen, den kaum einer mehr versteht.“

Naja, sie müssten eben Jon Fosse engagieren.

Aber, alle Zweifel und Hoffnungen einmal beiseite: Wie klappt denn das Stück? Solala, was zum einen daran liegt, dass für diese szenische Lesung spürbar nicht allzu viel Aufwand getrieben wurde, ja nicht getrieben werden konnte – zwei der drei Schauspieler, Sebastian Rudolph und Patrycia Ziolkowska, stehen auf der Perner-Insel in Nicolas Stemanns „Faust“-Marathon auf der Bühne und haben mit dieser Adaption schon mehr als genug zu tun.


„Ich hasse das Leben“. Das ist schade, denn Fosses Version lässt uns den Goethe vor allem dann vergessen, wenn es um Momente hoher Dramatik geht: „Ich hasse das Leben! Ich will sterben!“, ruft da Sebastian Rudolph als Faust. „Jetzt geht es in die Welt hinaus“, ruft Fabian Hinrichs als Mephisto. Und kein vorangegangener, kein darauf folgender Reim bremst den Überschwang. In anderen Momenten gehen gerade die Reime am meisten ab: Denn Reim und Versmaß sind einem Text nicht äußerlich, sind nicht hübscher Zierrat, keine Fingerübungen alter Meister. Sie takten unser Verständnis, lenken unsere Aufmerksamkeit, und so wirken gerade jene „dunklen“ Passagen, in denen Faust sich etwa mit der Magie herumplagt, bei Fosse seltsam zerstreut. Dass zumindest in der in Salzburg vorgestellten Fassung so manche kecke Spitzfindigkeit, manch schlagfertiger Konter dem Strich zum Opfer gefallen ist, ist ebenso schade.

Erstaunlich kurzweilig war der Abend trotzdem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2011)

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