Franz West (1947–2012): Kunst des Gedankenspiels

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Der Wiener war Österreichs klügster und gefragtester Vertreter der postmodernen Objektkunst. Er führte die Wiener Cross-over-Tradition zwischen Kunst, Design und Philosophie fort, er gab der Flause Größe und Gewicht.

Er war vieles zugleich: ein Weltstar. Ein Wiener Urgestein. Ein Eigenbrötler. Ein Netzwerker. Ein Monument. Ein Anti-Monument. Ein Philosoph. Ein Kind. Franz West ist gestorben. Nach langer Krankheit in der Nacht auf Donnerstag im Wiener AKH, im Alter von erst 65 Jahren. Erst fehlen einem die Worte.

Letzte Erinnerungen: Der prüfende Blick von der Seite beim Werkstattbesuch in Wien 3, wo eine Truppe von Assistenten die Ideen des Chefs in Pappmaché und Blech ausführte, seine „inneren Meteoriten“ formte, seine unbequemen bunten Sofas und Sessel der Selbsterfahrung schweißte, seine monumentalen Außenskulpturen aus Alu, all die Wulste und Würste und „Flausen“ in absurden Zuckerlfarben. Schmal und in sich gekrümmt saß er im Bürosessel. Die typische nasale Stimme begann zu erzählen, der raunzige Wiener Akzent schickte einen auf Zeitreise, ein bisschen philosophisches Namedropping folgte – Hegel, Lacan, Wittgenstein, Feyerabend, deren Bücher er so beiläufig las „wie andere in Modejournalen blättern“, wie Peter Noever es beschrieb.

Doch Wests vielleicht größte Leidenschaft war die neue Musik. Montagnacht saß er im winzigen Wiener Free-Jazz-Keller „Celeste“ und fieberte vor einer Tasse Tee und mit selbst gewuzelter Zigarette Philipp Quehenbergers Auftritt am Synthesizer entgegen. Um Mitternacht ging er dann brav nach Hause. Zu den zwei kleinen Kindern.

Im Kreis rund um Qualtinger

West selbst war im Wiener Karl-Marx-Hof aufgewachsen. Seine Mutter, die Zahnärztin, richtete der armen Wiener Nachkriegsavantgarde die Zähne. Bei seinem Vater, dem Kohlenhändler, fanden die Künstler Gelegenheitsjobs. Wests verehrter älterer Halbbruder war Otto Kobalek, ein „Volksdichter“ aus dem Kreis um Helmut Qualtinger. So trieb er sich schon als Jugendlicher in der Wiener Szene herum, in den Cafés rund um die Bäckerstraße, in der sich die Wiener Gruppe, die Wiener Aktionisten und alle anderen betranken. Der Schulabbrecher war schwierig, trank zu viel, zog von Tisch zu Tisch, verkaufte Collagen, kleine Objekte.

Heute sind sie tausende Euro wert, West gilt als Österreichs teuerster Kunstexport, vertreten u. a. vom wohl gewichtigsten Galeristen, Larry Gagosian in New York, der auch Wests verehrten Cy Twombly unter Vertrag hatte. Dessen von Wittgenstein inspirierte Zufallskringel, die West aus der Mumok-Sammlung kannte, beeinflussten ihn stark. Die Absurdität des Seins, die zelebrierte Sinnlosigkeit, „l'art pour l'art“, Kunst nur um ihrer selbst willen, setzte er dem existenzialistischen Pathos, den anarchistischen Weltentwürfen der Wiener Aktionisten entgegen. West interessierten eher die Amerikaner, Twombly, der frühe Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg. Trotzdem war er verankert im Wiener Spiel der Assoziationen, in der Tradition des Cross-over zwischen Philosophie, Kunst und Design.

Erst mit 30 fand er auf die Kunstakademie und bei Bruno Gironcoli die Freiheit, die er brauchte. 1981 stellte ihn Kaspar König in seiner „Westkunst“-Ausstellung im Kölner Ludwig-Museum aus, auch der Schweizer Kurator Harald Szeemann förderte ihn. Bei der „documenta IX“ 1992 dann die Einladung zur Ausstattung des Freiluftkinos – Wests wohl bekannteste Objekte, die West-Diwans, waren lanciert, wie bei Freud mit Teppichen überworfen. Es folgten Sessel, Tische, Lampen, zum Teil auch in Kooperation mit Kollegen. Die sperrigen Teile sind ambivalente Symbole des „Bleigewichts der Gemütlichkeit“, das West anführte, wenn man ihn fragte, was ihn an Wien nur so band. Obwohl hier der Goldene Löwe für sein Lebenswerk wenig galt, eine Auszeichnung, die er bei der Biennale Venedig 2011 mit der selbstlosen Geste einer Ausstellung seiner Freunde feierte. Obwohl hier seine Riesenskulpturen nicht den öffentlichen Raum fanden, den sie etwa in New York hatten, 2009 vor dem Central Park, wo die Leute auf den zu schmalen Hockern, ausgeprägten Enden einer sechs Meter großen rosa Aluschlauch-Schlinge, Platz nahmen, um dort über die assoziativen Verwicklungen zum „Ich und dem Es“, so der Titel, nachzudenken. Oder einfach, um sich auszuruhen. West war vieles zugleich. Ganz leicht zu verstehen. Und ganz schwer.

Diese bemalten Papiermaché-Trümmer etwa, die er als „Meteoriten des Inneren“ beschrieb und die sich manchmal ganz konkret zu Lemuren-Köpfen verzogen, wie sie auf der Brücke hinter dem Wiener MAK Wache stehen. Oder Wests 1978 erfundene „Passstücke“ aus Gips, diese sperrigen Körperverlängerungen zum Umhängen und Umschnallen, die Körpergefühl und Wahrnehmung der Benutzer zu verändern vermögen. Kommendes Frühjahr werden sie im Wiener Mumok nicht fehlen, bei einer Retrospektive, die jetzt zu einer Art Vermächtnis zu werden droht, zur späten Würdigung eines Weltstars des postmodernen Zynismus, des Anti-Pathos, der das typische Schicksal erlitt, in der Heimat wenig zu gelten.

Das Jahr 2012, in dem Günter Domenig, Walter Pichler und jetzt Franz West starben, wird in Österreichs Kunstgeschichte ebenso eingehen wie 1918, als Klimt, Schiele, Kolo Moser und Otto Wagner begraben wurden. Als Jahr, in dem eine Ära zu Ende ging. Als ein Jahr des Abschieds.

Die Kunstwelt trauert

Reaktionen. Schmerzlich vermissen werde man den Menschen Franz West und seine außergewöhnliche Karriere, so Belvedere-Chefin Agnes Husslein-Arco. Christoph Thun-Hohenstein wies auf die intensiven Kontakte hin, die das MAK zu West pflegte. „Mit ihm verliert die Kunstwelt einen ihrer innovativsten und radikalen Köpfe“, so Karola Kraus, die 2013 im Mumok eine von West noch mitgeplante Retrospektive zeigen wird.

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