Belvedere: „Twilight“, ganz ohne Vampire

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Eine üppige Ausstellung, die Unteres Belvedere wie Orangerie füllt, zeigt Gemälde, Skulpturen, Fotos und Videos von der Schattenseite des Lebens. „Die Nacht im Zwielicht“ ist eine große Erzählung.

Verreißen würde man die Ausstellung einer Kritikerkollegin nicht gerne. Schwärmen müsste man deshalb aber noch lange nicht von ihr. Genau in diese Verlegenheit kommt man aber bei der Themenausstellung „Die Nacht im Zwielicht“, die nach der vergleichbar großen Goldschau ebenfalls Unteres Belvedere wie Orangerie füllt und ihre Fühler in die Schausammlung ausstreckt. Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Kunstkritikerin der „Wiener Zeitung“, und Belvedere-Kurator Harald Krejci haben zwei Jahre lang aus der Sammlung des Hauses dieses klassische Thema geschält. Kein besonders originelles, es gibt und gab bereits Dutzende Ausstellungen darüber, zurzeit etwa im Städel-Museum Frankfurt („Schwarze Romantik“). Besonders erhellend ist es ebenfalls nicht, für große Neuerkenntnisse ist es zu allgemein gehalten.

Warum also schwärmen? Weil das Zwielicht hier tatsächlich ganz ohne modische Vampire anbricht? Ja. Vor allem aber, weil hier Schätze aus dem Depot gehoben wurden, die zum Teil noch nie zu sehen waren. Außerdem bekam man einige Leihgaben, die sonst eifersüchtig bewacht werden. Kirchners Straßenszene aus dem Burda-Museum etwa oder Füsslis für seine Zeit anti-rassistisches Manifest „Der gerächte Neger“ (1806/07) aus der Hamburger Kunsthalle. Allein Carl Spitzwegs kleine „Hexenritt“-Tafel (1875, Slg. Schäfer, Schweinfurt) ist ein Wahnsinn, das Teufelsweib lenkt seinen Besen genüsslich wie eine Harley durch die Nacht gen Blocksberg.

Hexensabbat statt Feministinnen-Peitsche

So viel übrigens auch zur feministischen Aufarbeitung der in der Kunstgeschichte lange üblichen Darstellung der Nacht als weiblich, irrational, vor-aufklärerisch. Ein eigenes Kapitel dazu hat man hier zugunsten einer philosophischen Aufbereitung aufgegeben, man folgt lieber tiefsinnigen Nachtzitaten von Nietzsche und Hegel. Dafür findet man zwischendurch ironische Brechungen, zum Beispiel des beliebten verführerischen Femme-fatale- bzw. harsch entzauberten Nachtarbeiterinnen-Motivs. In Anna Jermolaewas kurzem Video spielt die Triebfeder einer ganzen Branche, ein halberigierter Penis, die Hauptrolle, der klick-klack das Licht per Schalter an- und ausschaltet. Aber keine Angst, sonst sind die hier servierten Tagträume über die Nacht eher recht züchtig.

Ebenfalls weniger gewagt als derzeit äußerst angesagt ist die wilde Mischung aller Medien, Zeiten und Kulturen: Gemälde aus der Romantik treffen auf zeitgenössische Fotografie, Biedermeier-Zeichnungen auf amerikanische Videokunst, japanischer Farbholzschnitt auf Phantastischen Realismus. Immerhin seltener als bei der vergangenen Goldausstellung hat man sich gegen die künstlerische Qualität und für die Geschichte, die ein Exponat erzählt, entschieden. Etwa bei der schwer verdaulichen naiven „Gipsy Cave“ (Roma- und Sinti-Höhle) der unbekannten Malerin Amanda de Leon, von den Kuratoren im Belvedere-Fundus entdeckt.

Womit wir zu den positiv erstaunlichen Fundstücken wechseln sollten. Ein sonst nicht in der Schausammlung vertretener, weil untypisch abstrakter Caspar David Friedrich etwa. Der „Abendliche Wolkenhimmel“ wurde dem Belvedere einst von einem gewissen Franz Josef Honig geschenkt. Ohne das sonst bei Friedrich übliche schützende Glas ist das kleine Ölbild wunderbar zu studieren, Titel und Signatur etwa, die der Star der deutschen Frühromantik einfach mit der Rückseite des Pinsels einkratzte. Ein sehr untypisches Großformat von Alfons Walde, eine private Dauerleihgabe, wird das erste Mal gezeigt. Das winterlich-nächtliche Kitzbühel in dunkelgrauen Schattierungen erinnert in der Perspektive an die Krumau-Bilder des von Walde so verehrten Egon Schiele.

Das große romantische Nachtstück mit Mond, Wolken, Bergen oder Meereswellen führte allerdings direkt in die Kitsch-Sackgasse. Die Künstler begannen die Nacht eher im Zusammenhang mit neuen technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften zu sehen.
Allerjüngstes Beispiel für diese Theorie der Kuratoren ist ein schwarzes Quadrat, das am Eingang zur Orangerie hängt. Fotografiert man es mit Blitzlicht, erscheint auf dem Display von Kamera oder Handy ein Wunder (nahezu): William Turners „Shade and Darkness“ von 1843, das in den 1990er-Jahren aus der Schirn-Kunsthalle Frankfurt geraubt und 2002 wieder gefunden wurde. Wohl der Anlass für das 2003 geschaffene Werk, das mehr als technische Spielerei überzeugt. Immerhin weiß man danach, dass Kiki Kogelniks Sohn Mono auch Künstler ist.

Von wegen wenig bekannte Verwandtschaften: Antony Gormleys Frau Vicken Parsons ist mit kleinen Kino-Bildern ebenso vertreten wie Jürgen Klaukes Frau Gina Lee Felber, deren unheimliche, schwarz-in-schwarze Temperaporträts prominent hinter dem „Gähner“ Franz Xaver Messerschmidts erscheinen. Felber selbst taucht als Modell in Klaukes großformatigem achtteiligen Zyklus „Heimspiel“ auf, der einen der schönsten, weil großzügigsten Räume der Schau am Beginn der Orangerie prägt: Frau und Mann verschmelzen mittels Tisch und schwarzen Kleids zu einem Wesen. Dass das ein Traum ist, darauf weisen Anselm Feuerbachs lebensgroße „Orpheus und Eurydike“ (1869) hin, die sich gerade in inniger Zweisamkeit zum Marsch aus der Unterwelt aufmachen. Anders als bei Klauke, wo der Mann im Dunkeln bleibt, wird bei Feuerbach allerdings für Eurydike die Nacht nicht enden.

Bis 17. 2., tägl. 10–18h, Mi. bis 21h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2012)

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