Monat der Fotografie: Fabelhafte Welt des Fotoautomaten

Fotoautomat
Fotoautomat(c) Clemens Fabry
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Das Kunsthaus Wien widmet sich Fotokunst in Streifenform. Seit Erfindung des Fotoautomaten haben Künstler ihn okkupiert. Im Alltag hat das Konzept allerdings nur noch in Japan ein Leben jenseits des Retro-Chics.

Jeder hat seinen ganz persönlichen Fotoautomaten in der Stadt seiner Jugend. Der im Kaufhaus ganz hinten. Oder der neben den Sandlern beim Schottentor, wo hinterm Vorhang zuletzt immer öfter Bierdosen standen, nicht mehr ein anonymes Paar Füße. Bis auf England, Frankreich und Japan scheint die digitale Fotografie die gewichtigen Fotoautomaten aus dem Stadtbild verdrängt zu haben. Auch wenn er in den letzten Jahren als eine Art Juxbox des Bildes in schicken Shabby-Destinationen wieder zur Attraktion wird – am Prenzlauer Berg in Berlin stehen zwei solche Kisten. In Wien findet man sie in der Pratersauna oder im Lomoshop im Museumsquartier.

Und im Foyer des Kunsthauses Wiens natürlich. Wäre auch höchst fahrlässig gewesen, wenn zurzeit keiner zu finden wäre. Widmet man sich hier doch genau dieser Tradition und zwar im künstlerischen, ein bisschen sogar kulturhistorischen Sinn. Thematisch geordnet dokumentiert die mit dem Pariser Musée d'Elisée erarbeitete Ausstellung sozusagen Körperteil für Körperteil, von Kabine bis Vorhang, die Faszination des Fotoautomaten.

Surreales Grimassenschneiden

Den Surrealisten passte die neue Erfindung natürlich bestens in den Kram, unterstützten die ab 1928 in Paris aufgestellten „Photomatons“ doch perfekt ihre Forderung nach einer „écriture automatique“, also nach einer Ausschaltung des künstlerischen Bewusstseins beim Schaffensakt. Was sich in diesem Fall natürlich nur auf den Fotografen bezieht, die Motive, oft die Surrealisten selbst, waren sich ihrer Ausdrucksmöglichkeiten eindeutig bewusst. Max Ernst ließ sich etwa äußerst sittsam automatisch porträtieren, Paul Éluard schon ein bisschen weniger, am exzentrischsten aber warf sich wieder einmal der in Pose, dessen Kunst es am wenigsten erwarten ließe: Yves Tanguy, der Maler zarter surrealistischer Landschaften. Ein wilder Hund, der Grimassen schnitt, dass sogar Arnulf Rainer dagegen fast zahm wirkt. Und das über 30 Jahre später.

Rainer ist mit seinen Selbstporträts von 1968/69 trotzdem noch der österreichische König der Automatenkunst (wenn auch bei Weitem nicht der Einzige, der sich hierzulande damit noch beschäftigte). Was Rainers von der Art Brut beeinflusste Fratzen allerdings mit dem Wiener Aktionismus zu tun haben sollen, wie im Wandtext betont wird, bleibt schleierhaft. Da hätte er doch ein wenig mehr existenzielles Genital zeigen müssen – wie man es in Fotoautomaten durchaus gern tat, wie einige Beispiele pornografischer und erotischer Aufnahmen zeigen.

Damals reichten die Vorhänge der Geräte allerdings noch bis zum Boden. Um diese intimen Kemenaten im öffentlichen Raum besser kontrollieren zu können, hat man sie in den 1980er-Jahren tatsächlich um die Hälfte gekürzt. Die unzähligen Kussfotos, die an diesen Unorten entstanden, waren so trotzdem nicht zu verhindern, der US-amerikanische Fotograf Näkki Goranin hat viele von ihnen gesammelt.

Derartige Sammler von Automatenfotos kommen übrigens nicht nur in romantischen Filmen vor. Nino Quincampoix, in den sich „Amélie“ in ihrer „Fabelhaften Welt“ verliebt hat, gibt es wirklich, lernt man hier, sein Vorbild war Michel Folco, der tatsächlich täglich in den Automaten am Gare de Lyon nach weggeworfenen Passfotos suchte. Diese verworfenen Identitäten scheinen einen mächtigen Reiz auszuüben, sie sind heute gesuchte Sammelstücke.

Der Fotoautomat als spielerische Teststrecke für die eigene Identitätssuche ist auch für Künstler ein ewiges Thema. Ob bei Cindy Sherman, die sich hier 1975 als 1950er-Jahre-Fernsehstar Lucille Ball („I love Lucy“) inszeniert hat. Ob bei Turner-Preis-Trägerin Gillian Wearing, die ihre Familienfotos nachstellte, etwa ein Passfoto, das sie als 17-Jährige zeigt (Abb.). Die wahrscheinlich lückenloseste Automatenfoto-Dokumentation seines Lebens aber besitzt der Enkel des kanadischen „Auto-Photo“-Gründers: Seit seiner Jugend wurde Jeff Grostern immer wieder für Werbezwecke abgebildet, er führt diese Tradition bis in die Gegenwart fort.

Das Konzept hätte Andy Warhol gefallen, der in seiner Factory selbst fünf Jahre lang einen Fotoautomaten stehen hatte, der ausgiebig benutzt wurde. Das erste Mal in einer Ausstellung selbst wurde ein funktionierender Automat übrigens vom Italiener Franco Vaccari verwendet, bei der 36. Biennale Venedig 1972. 40.000 Besucher hinterließen damals ihre Porträtfotostreifen an den Wänden seines Raumes.

Womit wir schon weit in der Historie wären. Während sich die Ästhetik der Fotoautomaten bei uns im Retro-Chic verfangen hat, dem man auch Apps wie „Incredibooth“ schuldet, hat das Automatenkonzept in Japan ein eigenes schrilles Weiterleben entwickelt: Seit 1995 gehören „Purikura“-Kabinen dort zum Alltag der Jungen, vor allem der Schulmädchen, die dort bunte Klebebilder von sich drucken lassen können, fantastische Hintergründe, Kostüme, Inschriften lassen sich frei wählen. Ein solcher exotischer Automat im Kunsthaus-Foyer hätte den Wienern wohl mehr Spaß gemacht.

Auf einen Blick

Der erste Fotoautomat, wie wir ihn kennen, wurde 1925 am Broadway in New York aufgestellt, erfunden wurde er vom russischen Einwanderer Anatol Josepho.

Die Ausstellung im Kunsthaus Wien läuft bis 13.Jänner, täglich von 10–19 Uhr, Untere Weißgerberstraße 13, Wien 3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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