Baselitz bei Essl: "Der Picasso unserer Zeit"

Baselitz Essl Picasso unserer
Baselitz Essl Picasso unserer(c) APA HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Sammler Karlheinz Essl zeigt zu Georg Baselitz' 75. Geburtstag (fast) alles, was er von ihm hat: Das sind 44 Bilder für 44 Jahre Bewunderung. Der Meister des Kopfstands stellte sich diesem Geschenk mit Fassung.

Ja, wie besingt man einen Georg Baselitz zum Geburtstag? Eine ganze Pressekonferenzbelegschaft stand gestern Vormittag im tief eingeschneiten Essl-Museum vor diesem Problem – „Happy Birthday, lieber...“ – Schorsch, wie ihn Sammlerfreund Karlheinz Essl nennt? Georg? Baselitz? Maler? Meister? Am besten wohl gar nicht, aber der Gruppenzwang gewann, als eine Pressesprecherin die Geburtstagstorte brachte, eine Woche zu früh. Georg Baselitz trug es mit Fassung. Wie auch den Rummel um seine Geburtstagsausstellung, die ihm einer seiner größten Sammler ausrichtete – einzig aus dessen Beständen heraus, was keine vollständige Retrospektive ergibt und auf den ersten Blick vor allem über eines Staunen lässt: nämlich, wie viele Bilder Essl seit 1968 gekauft hat (rund 50 nämlich).

44 Großformate sind es genau, die Essl und Baselitz jetzt gemeinsam für die Schau ausgesucht haben, für jedes Jahr eines, aber das sei Zufall gewesen, sagt Essl. Zufall ist bis zu einem gewissen Grad auch der Fundus – abhängig davon, was man auf dem Markt überhaupt von einem derart Nachgefragten ergattern kann, und was davon Essls Blick zugesagt hat. Natürlich, gesteht Baselitz, kann man einem Sammler da nicht viel dreinreden, „er will zeigen, wofür er bezahlt hat“. Und natürlich träfe er hier und da auf etwas, was er am liebsten wieder zumalen würde (was, werde er sicher nicht verraten): „Ich muss mich dem stellen, ich kann ja nicht sagen, ich habe mich damals geirrt.“

Skandalisiertes Frühwerk fehlt

Mit Baselitz zu arbeiten dürfte nicht immer nur hellste Freude sein. Trotzdem muss man sagen, Essl hat das Beste daraus gemacht. Wandelt man am Anfang ein wenig verloren durch die recht wirr wirkende Anordnung, ergibt sie am Ende Sinn. Eine chronologische Hängung hätte nicht viel gebracht, nur die Lücken betont, wie etwa das damals, Anfang der 1960er-Jahre in Berlin skandalisierte Frühwerk. Um Essls Theorie zu stärken, dass Baselitz „die Malerei seit den 1980ern immer wieder neu erfunden hat“, ist die Hängung aber bestens geeignet. Ein Remix des „Remix“ sozusagen, wie die berühmteste jüngere Serie heißt, in der Baselitz ihm wichtige Bilder seines wuchtigen, erdigen Frühwerks noch einmal malte: die Riesenerektion der „Großen Nacht im Eimer“ etwa, 1963 noch polizeilich aus der Galerie entfernt, jetzt leichterhand, hell, unbeschwert wiederholt, ein spannendes Spiel, das man nicht ebenso leichterhand mit Kunstmarktzynismus erklären sollte. Baselitz habe sich eben immer wieder an denselben Motiven in neuen Formen abgearbeitet, erklärt Essl: „Er ist der Picasso unserer Zeit.“

Zumindest vom Musenverschleiß her ist er das sicher nicht, Baselitz ist seit 50 Jahren verheiratet. Ansonsten muss man vor seinem Mut zum Experiment tatsächlich den Hut ziehen: Wann geschieht es schon, dass ein 75-Jähriger erklären muss, dass man seine neuen, abstrakt wirkenden Bilder nur erkennt, wenn man sie über die Negativfunktion des Smartphones betrachtet. Erst dann erscheint etwa, in neuer Form, die beschämte Kindergruppe aus seinem Bild „Wieder eine schlechte Note“ von 1999 auf dem Bildschirm. Diese „Russenbilder“ waren damals die Reaktion auf die Stasi-Akten-Einsicht des 1938 in Sachsen geborenen, also in der DDR aufgewachsenen Georg Kern (der sich erst später nach seinem Geburtsort Baselitz nannte). Einige seiner Freunde hatten ihn bespitzelt, die Vergangenheit holte den seit 1958 in Westberlin lebenden Maler ein. Er begann sich daraufhin an bekannten Propagandabildern des Sozialistischen Realismus abzuarbeiten – indem er beschämte Schulkinder um 90 Grad drehte oder „Lenin auf der Tribüne“ in pointilistische Konfetti aufgelöst auf den Kopf stellte.

So wurde er ab 1969 schließlich berühmt, als „Meister des Kopfstands“. Es war eine radikale Absage an die Konvention von einem, der in seiner Jugendzeit von Konventionen umzingelt war – erst im Osten, dann im Westen, wo man abstrakt zu malen hatte. Dass aus der ursprünglichen Rebellion mittlerweile ein Luxusmarkenzeichen geworden ist, sei Baselitz vergönnt. Zu seinem 75.Geburtstag allemal. Noch dazu, wenn er an einem guten Tag wie gestern mit Anekdoten nicht geizt und sogar von seinem kurzen Abdriften ins „Hungerkoma“ erzählt, als er, der in Westberlin studierte, zwar die Freiheit vor der Nase, aber doch nichts zu beißen hatte.

Heute steht er mit nacktem Oberkörper und „neuer Kappe“ (so der Titel), in kurzen Hosen und Socken als kindlicher Riese wie ein Wächter vor seiner Ausstellung – mit groben Hieben aus dem Holz gehauen. Wir grüßen, mit Ehrfurcht, den Baselitz unserer Zeit.

Bis 20.Mai, Di–So: 10–18h, Mi: 10–21h, Details zum Gratis-Shuttle von Wien nach Klosterneuburg unter www.essl.museum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2013)

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