Ein Schicksalsjahr für die Kunst und die Menschheit

Adolf Hitler wurde das erste Mal von der Wiener Kunstakademieabgelehnt. Picasso malte am Montmartre seine »Demoiselles« und Klimt in Wien seine Adele, in Gold.

Innerhalb eines Jahres raffte der Brustkrebs seine Mutter Klara hinweg. Zwei Monate vor ihrem Tod war der 19-Jährige das erste Mal an seinem Traum gescheitert: Im Oktober hatte er sich für ein Kunststudium an der Allgemeinen Malerschule der Wiener Kunstakademie beworben. Vergeblich, er fiel bei der Aufnahmeprüfung durch. Auch ein zweiter Versuch misslang. Hitler wurde wieder abgelehnt. Zeit seines Lebens fühlte er sich als Künstler verkannt. Was wäre geworden, wenn?

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Es war das bekannteste unbekannte Bild seiner Zeit. Eine riesige Leinwand, fast zweieinhalb mal zweieinhalb Meter groß. Sie stand verhüllt und unsigniert im ärmlichen Atelier Picassos am Montmartre. Über zehn Jahre hinweg zeigte er sie nur Freunden und Händlern – die fünf überlebensgroßen Huren, die den Betrachter so aggressiv anstarren. 1916 erst wird „Les Demoiselles d'Avignon“ (Abb.) erstmals ausgestellt, es ist ein Schlüsselwerk des Kubismus und der Moderne. Die monströsen Nackten tragen afrikanische Masken oder iberische Gesichtszüge, erst durch den Betrachter, den Kunden, für den sie aufmarschieren, wird das Bild komplett. Mit Lust hat das Ganze allerdings wenig zu tun. Wollte Picasso, der Weiberer, hier seine Furcht vor der damals noch unheilbaren Geschlechtskrankheit Syphilis bannen? Oder den Verfall der Schönheit zeigen? Oder gar Sex als Waffe?

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Es war unglaublich heiß. Sogar in der „Casa Azul“, dem „Blauen Haus“ im kleinen Städtchen Coyoacán. Es war Sommer in Mexiko, als Guillermo und Matilde ihre dritte Tochter geschenkt bekamen. Sie sollte eine nicht weniger unglückliche Ehe führen wie ihre Eltern. Sie hieß Frida, Frida Kahlo.

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Ihr Schicksal war nicht viel heller, Tragik und Drama, zumindest ein wenig Melancholie, gehörten damals zum guten Ton. „Leidend, immer mit Kopfweh, rauchend wie ein Schlot, furchtbar zart und dunkel. Ein durchgeistigtes Gesicht, süffisant, elegant“, so beschrieb ihre Nichte, Maria Altmann, Adele Bloch-Bauer. Die Tochter eines Bankdirektors hatte im Alter von 18 Jahren den fast 20 Jahre älteren Zuckerfabrikanten Ferdinand Bloch geheiratet. Wir befinden uns im jüdischen Wiener Großbürgertum um 1900. Die beste Klientel von Gustav Klimt. Der Adele auch zweimal in Öl porträtierte. In diesem Jahr tat er es in dekadentem Gold. Genau wie seinen „Kuss“. Es war das große Jahr seiner „Goldenen Phase“.

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In drei Jahren wird Klimt auf der Biennale Venedig ein ganzer Raum gewidmet sein. Einen österreichischen Pavillon aber gab es noch lange nicht. Die Vorreiter in diesem internationalen Länder-Contest waren damals die Belgier. Es war in diesem Jahr, als in den Giardini der erste Nationalpavillon gebaut wurde, vom belgischen Architekten Léon Sneyers.

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Es war auch das Jahr, in dem Paula Modersohn Becker zu ihrem Mann zurückkehrte. Zurückkehren musste. Die Malerin, die so um ihre Emanzipation gekämpft hatte, in Paris allein lebte, allein für sich sorgen wollte, wurde von der Realität eingeholt. Sie brauchte Geld und Stille für ihre Arbeit – „und die habe ich auf die Dauer an der Seite Otto Modersohns am meisten“, schrieb sie an eine Freundin. Sie wurde schwanger. Und sie starb.


(Die Sternchen trennen hier die Episoden so, wie es in Illies Buch eine Raute tut. Und das Jahr, um das es hier geht, ist 1907. Nicht 1913.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2013)

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