"Robinsons" erste Worte: "Tchack! Bumm!"

Robinsons erste Worte Tchack
Robinsons erste Worte Tchack(c) Knesebeck
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Wie zeichnet man Gregor Samsa, sind Proust-Comics ein Sakrileg, und kann ein illustrierter "Odysseus" Schüler ködern? Weltliteratur im Comicformat treibt derzeit tolle Blüten.

Im „Asterix“ steckt Weltliteratur, das wird niemand bestreiten. Zum Beispiel, wenn ein Wikinger zu der Erkenntnis „Etwas ist faul in meinem Staat“ gelangt und ein anderer über „Sein oder Nichtsein“ meditiert. Oder wenn Obelix angesichts einer hübschen Indianerin „Errötend folgt man ihren Spuren“ haucht und einem über seine Nase spottenden „Römerlein“ entgegenschmettert: „Rühmst du sie schon und sprichst von ihr, dann nenn sie mindestens Menhir...“ Und das ist noch gar nichts gegen „Micky Maus“. Etliche der legendären „Lustigen Taschenbücher“ spielen mit berühmten literarischen Vorlagen, wie etwa die Bände „Krieg und Frieden“, „Mickey Mouse – Das Inferno“, „Sir Goofy – Ritter der Tafelrunde“ oder „Die Leiden des jungen Ganther“.

Hommage oder subtile Rache? Vor allem im deutschsprachigen Raum galten Comics ja lange Zeit als „Esperanto der Analphabeten“. Die Welt der „Hochkultur“ wollte sich nicht in die vermeintlichen Niederungen einer Gattung herablassen, in der scheinbar „Klirr“, „Tsching“ und „Bumm“ als Hauptwörter galten.

Die „Brockhaus“-Comics. „Tchack! Bumm!“ sind genau genommen auch die ersten Wörter einer Neuausgabe von „Robinson Crusoe“. Aber nach der Abbildung des einen Schuss abfeuernden Helden beginnt die Geschichte, und diese klingt schon viel gepflegter: „Am 30.September im Jahr des Herrn 1659 lief das von mir gecharterte Schiff inmitten eines Sturms auf eine Sandbank auf... Ich war ein hochmütiger junger Mann... Ein Eidbrüchiger, der seine Strafe verdiente.“

Der neue „Robinson“ gehört zu einer Reihe von „Literaturcomics“, die der Verlag wissenmedia unter der Marke Brockhaus seit 2012 herausgibt. Unter den zehn bereits erschienenen, appetitlich gestalteten Hardcover-Bänden finden sich u.a. „Die Odyssee“, „Die Schatzinsel“, „In 80 Tagen um die Welt“, „Don Quijote“ oder das herrlich naturnah illustrierte „Dschungelbuch“. Im Frühjahr sollen weitere Bände folgen, wie „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ und „Quo vadis?“.

„Graphic Novels“ ist der englische Ausdruck für derlei anspruchsvollere Comics in Buchformat. Sie haben in den vergangenen Jahren gewaltig an Prestige gewonnen. Zwar hat die „Brockhaus“-Reihe weniger niveauvolle deutsche Vorläufer wie die seit den 1970er-Jahren bei Bastei erschienenen „Weltbestseller“ („Berühmte Bücher in 200 Bildern nacherzählt“). Die Idee für diese Reihe kommt aber nicht zufällig aus Frankreich, wo der Verlag auch die Rechte gekauft hat. Dort wurden Comics schon sehr früh als seriöse Literaturform angesehen.

Comicversionen von Klassikern haben allerdings auch im englischsprachigen Raum eine lange Tradition. Legendär ist die Reihe „Classics Illustrated“. Sie wurde als „Illustrierte Klassiker“ ab den 1950er-Jahren auch auf Deutsch sehr erfolgreich und wollte „eine farbenprächtige, vollständige und genaue Nacherzählung der großen Werke der Weltliteratur“ sein.

Vollständig? Wann ist eine bebilderte Nacherzählung vollständig, wann ist sie sinnvoll? Nie, meinen Literaturpuristen. Entscheidend an der Literatur sei ja die Sprache, und diese könne im Medium Comic nur verkümmern. Andere finden: Besser als nichts. Gerade jugendliche Nichtleser könnten so zu den großen „Urgeschichten“ der Menschheit gebracht werden. Die einen würden davon zum Lesen des Originals verführt, die anderen wenigstens mit dem Inhalt vertraut.

Odysseus, so schnell wie nie. Kann das funktionieren? Die Vorgeschichte der Literaturcomic-Reihe, aus der sich Brockhaus hier bedient, könnte skeptisch stimmen. Tatsächlich war die bei Glénat erschienene, auf 50 Bände angelegte Reihe „Les incontournables de la littérature en BD“ („Die unverzichtbaren Werke der Literatur als Comics“) bisher ein Flop.

Das ist symptomatisch für den Versuch, Weltliteratur durch Comics attraktiv zu machen. Das Genre findet sich leicht zwischen zwei Stühlen wieder: Eingefleischte Comicleser finden darin zu wenig Comic, Literaturbegeisterte zu wenig Literatur. Scheitern muss es deswegen noch lang nicht, wie auch Recherchen des deutschen Comic-Magazins „Alfonz“ bestätigen.

Um herauszufinden, was Schüler von den „Brockhaus“-Comics halten, verteilten Mitarbeiter Exemplare davon an 100 Gymnasiasten und später Fragebögen. 60 Prozent fanden die Comics gut, rund die Hälfte gab an, die Lektüre habe bei ihnen das Interesse am Original geweckt.

Eine gute halbe Stunde, und man hat mit Odysseus den einäugigen Polyphem bekämpft und den Hades besucht, mit Kirke und Kalypso geschlafen und den Sirenen getrotzt, Skylla und Charybdis überlebt und die Freier seiner Frau erschlagen. Natürlich hat man in dieser halben Stunde keinen Schimmer von Homers Erzählkunst erhascht. Aber man kennt immerhin (wieder) die Geschichte, eine der wichtigsten der abendländischen Tradition – und ertappt sich beim Staunen, weil sie so spannend ist. Umso besser, wenn auch noch großartige Zeichnungen hinzukommen, wie im demnächst erscheinenden „Dschungelbuch“ (Brockhaus“) oder in „Die Kinder des Kapitäns Grant“ (Splitter Verlag). Diese Comicversion des Jules-Verne-Romans stammt vom Franzosen Alexis Nesmes, der erste Band soll im Frühjahr erscheinen.

Peter Pan, brutal. Aber wo bleiben bei alledem die Literaturcomics für anspruchsvolle Erwachsene? Es gibt sie, und sie werden immer mehr. Schnitzlers „Reigen“ etwa, Thomas Bernhards „Alte Meister“, „Faust I“, Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, „Gilgamesch“, „Don Quijote“ oder Kafkas „Verwandlung“ sind in den vergangenen Jahren in interessante bis überragende Graphic-Novel-Versionen verwandelt worden.

Und hier wird es künstlerisch interessant: wenn Bilder das Gedruckte vertiefen oder eine Spannung zwischen beidem entsteht, wenn Illustrationen Überraschendes zutage fördern oder auch wenn Autoren die Vorlage ungeniert, aber sinnvoll verändern.

Auch hier kommt ein großer Teil der Beiträge aus Frankreich. Da mischt etwa der bekannte französische Comiczeichner Régis Loisel in seine vielgerühmte „Peter Pan“-Serie Motive aus Charles Dickens „David Copperfield“ hinein. Er zeigt den Buben in einer viel brutaleren Welt als das Original und holt damit Aspekte aus der Entstehungszeit ins Werk herein, die der Autor bewusst ausgeklammert hat.

Nicht nur eine Augenweide ist die Bearbeitung von Prousts monumentalem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, von der auf Deutsch bislang fünf Bände im Knesebeck-Verlag erschienen sind. Der Zeichner Stéphane Heuet schaffte es mit diesem Projekt auf die Seite eins der „New York Times“, er arbeitet seit rund 15 Jahren daran. Bei ihm dienen die berückenden Bilder der Vorlage, aber sie sind viel mehr als einfache Illustration. Die meist bläulich gehaltenen, ein wenig an Hergés „Tim und Struppi“-Ästhetik erinnernden Zeichnungen sind wie ein kongeniales Echo von Prousts poetischer Prosa, erzeugen eine eigene Ästhetik der Erinnerung. Trotzdem hat dieser „Proust“ eine öffentliche Erregung ausgelöst wie kein Literaturcomic vor ihm, denn einige Kritiker sahen im Projekt an sich schon ein „Sakrileg“.

Gilgamesch zwischen Hochhäusern. Ein monumentales Kunstwerk ganz eigener Art ist auch „Gilgamesch“ (Projekte-Verlag) vom deutschen Maler, Bildhauer und Kunsttischler Burkhard Pfister. Die Graphic-Novel-Version des ältesten überlieferten Epos der Welt erschien seit 2008 in zwölf „Tafeln“, die mittlerweile als Gesamtband erhältlich sind. Stilistisch orientiert sich der Künstler an den altorientalischen Bildwelten. Gleichzeitig versetzt er die Geschichte vom despotischen König, der vergeblich unsterblich werden will und am Ende als weiser Herrscher Menschen und Götter wieder versöhnt, in eine Art mythisches, fast ganz in Schwarz gehaltenes Heute mit Hochhäusern und Rugby-Spielen.

Kläglich dünne Beinchen, ein gewölbter, brauner, „von bogenförmigen Versteifungen geteilter Bauch“, ein „panzerartig harter Rücken“ – aus dieser Beschreibung des „ungeheuren Ungeziefers“ in Kafkas „Verwandlung“ macht die gleichnamige Graphic Novel von Eric Corbeyran und Richard Horne eine Schabe. Schauderliche Großansichten dieser Kreatur durchziehen den beeindruckenden Band, der aber auch exemplarisch die Grenzen des Literaturcomics zeigt. Denn was denkt sich Gregor Samsa bei Kafka als Erstes, nachdem er seinen neuen Körper gesehen hat? „Ach Gott, was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tagaus, tagein auf der Reise...“

Ein Ungeziefer mit Menschenkopf. All die Sprechblasen über einem Insektenkopf verdunkeln ein entscheidendes Charakteristikum des Originals: dass Kafkas Gregor Samsa (sich) weiterhin als Mensch denkt. Aber wie das darstellen?

Peter Kuper hat in seiner leider nur auf Englisch erhältlichen Graphic Novel „The Metamorphosis“ einen anderen Weg gewählt: Bei ihm hat Gregor Samsa einen Insektenkörper und einen Menschenkopf. Das kommt schon eher hin, „wiedergeben“ kann es Kafkas Perspektivenspiel auch nicht.

Und hier werden Literaturcomics so richtig spannend: wenn sie nämlich das Unnachahmliche eines Textes gerade dadurch erkennbar machen, dass sie daran scheitern, es darzustellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2013)

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